Auf dem Otter-trail in Südafrika: es zischt die Gischt

ElandsbosOakhurst1SonnenuntergangKormoranDer Otter-trail in Südafrika – es zischt die Gischt

Fünftätige Wanderung durch den südafrikanischen Tsitsikamma-Nationalpark

Von unseerem Südafrika-Korrespondent Stefan Tietjen

Zwei Kilo getrocknete Mangostreifen, elf Brownies, acht Cookies, ein halbes Kilo Reis, eine Dose Tunfisch, zwei große Süßkartoffeln, ein vegetarischer Curry-Pie und eine Packung Kekse mit Zitronengeschmack. Die nächsten fünf Tage sollte ich nicht verhungern. Die Angst, Hunger zu leiden, sollte fürs erste gebannt sein. Über die eigentliche Wanderung machte ich mir überhaupt keine Sorgen. Im Gegenteil, ich war enttäuscht.
Über die Einladung den Ottertrail zu wandern, war ich sehr erfreut. Allerdings erschienen mir 42 Kilometer in fünf Tagen doch kaum der Rede wert. Einen Marathon war ich schon des Öfteren in kaum mehr als vier Stunden gelaufen. Die höchste Erhebung dieser sehr beliebten Wanderung entlang der Ostküste Südafrikas mit 153 Metern war für mich, der noch in der Grundschule gelernt hatte, dass der höchste Berg Schleswig-Holsteins, der Bungsberg, bedrohliche 168 Meter in den Himmel ragt, so furchteinflößend nicht.
Lediglich die Tatsache, dass in den kommenden fünf Tagen für die Versorgung selber gesorgt werden sollte, stellte mich vor die Frage, ob ich Hunger leiden würde oder nicht. Wasser sollte es an den Blockhütten geben und konnte auch jederzeit aus den vielen kleinen Flüssen geschöpft werden.
Und weil ich den anderen Wanderern meine Dankbarkeit zeigen wollte, verschwand am Ende auch noch eine Flasche Wein in meinem Wanderrucksack.
Soweit die Theorie.
Peter (45), sein Sohn Nikolai (25), dessen Freundin Laura (21), ihr Bruder Chris (16) und ich ( 35) brachen erst am späten Nachmittag auf. Der Regen hatte uns aufgehalten, aber die für die ersten 4,7 km wurden nur zwei Stunden veranschlagt.

Wir wogen unser Gepäck und, ich war schon etwas stolz, als sich herausstellte, dass mein Rucksack 19 Kilogramm auf die Waage bzw. an den Haken brachte.

Generös ließ ich meinen Mitstreitern den Vortritt. Ich wollte schon dafür sorgen, dass niemand verloren ging. Einer nach dem anderen wurde von dem immergrünen Dschungel verschluckt.
Dank der klimatischen Voraussetzungen und der direkten Meereslage hat sich in diesem Nationalpark auf der Garden Route zwischen Plettenbergbay und Port Elisabeth diese einzigartige Vegetation herausgebildet. Dichte Wälder schmiegen sich an die Felsen und Proteas leuchten im Fynnbos. Diverse Pflanzen haben sich über die Jahre als wahre Lebenskünstler entpuppt, die sich auch noch die kleinste ökologische Nische zu nutzen gemacht haben.

Nach kaum einer halben Stunde verlor ich schon den Sichtkontakt und als der Weg uns das erste Mal hinab zum felsigen Küstenstreifen führte, musste ich erkennen, wie ich den “Otter” unterschätzt hatte. Bei jedem Schritt musste ich um die Balance ringen. Nicht ein Meter wurde mir geschenkt. Das Meer peitschte die Gischt gegen die aus dem Indischen Ozean herausragenden Felsen.
Leider hatte ich keine Augen für diese Schönheit. Ich war nur damit beschäftigt, abwechselnd den Rotwein und die Süßkartoffeln zu verwünschen.

Mit letzter Kraft wuchtete ich meinen Körper und mein Gepäck einen schier endlos anmutenden Pfad der Erlösung namens “Ngubu Hut” entgegen. Ich fühlte mich wie Obelix, der einen Hinkelstein auf seinem Rücken trägt. Leider ohne in der Kindheit die Erfahrung gemacht zu haben, in einen Kessel mit Zaubertrank gefallen zu sein.

In der Dämmerung erreichten wir dann endlich die Zuflucht für die erste Nacht. Jeder Übernachtungsplatz ist mit zwei Hütten ausgestattet, die jeweils zwölf Wanderern ein Dach über den Kopf bietet. Es sollte sich herausstellen, dass die Hütten um die Gunst der Besucher wetteiferten. Eine Aussicht schöner als die andere. Ein Strand zu Füssen, rollende Wogen, die verbissen gegen die Felsen anrennen und einen unerbitterlichen Kampf zwischen den Elementen führen. Ein Idyll schöner als das andere.

Aufgrund der begrenzten Übernachtungsmöglichkeiten ist es lediglich zwölf Otter-Herausforderern am Tag gestattet, die Wanderung in Angriff zu nehmen. Die Wartezeit für einen begehrten Platz dieser legendären Wanderung beträgt ein Jahr. Wir hatten das Glück, dass außer uns fünfen niemand anderes an diesem Tag die Herausforderung suchte.

Mit großer Genugtuung ließ ich mein Taschenmesser aufschnappen und verpasste den beiden Süßkartoffeln den Todesstoß. Auch die Rotweinflasche, die noch nicht mal besonders gut mundete, fand ein jähes Ende. Sogar mein Reis harmonierte exzellent mit dem Sojahackfleisch, sodass ich schon drei Kilo eliminiert hatte. Auch in den nächsten Tagen versuchte ich bereitwillig meine getrocknete Mango an den Mann zu bringen. Jedes Gramm weniger war mir nur Recht.
Zuversichtlich und erschöpft schlief ich ein. Der neue Tag sollte Erleichterung bringen.

Leider hatte ich die Rechnung ohne den Wirt – den Otter gemacht. Das Höhenprofil des zweiten Tages erinnerte er an die Herzfrequenz eines an Bluthochdruck leidenden Patientens, dem Christiaan Barnard lieber heute als morgen ein neues Herz verpflanzen sollte. Zwar wurde jeder Aufstieg auch mit einem atemberaubenden Ausblick auf die Steilküste belohnt, stürzte sich der Pfad auch im nächsten Moment wieder steil hinunter, wie er hinaufgeführt hatte. Einem Otter mag das behagen, einem leicht übergewichtigen Hobbysportler eher nicht.

Von einem Spaziergang konnte nicht die Rede sein. Aus den veranschlagten 4 Std. für die 7,8 km wurden aufgrund von zu überquerenden Flüssen und einem Mittagsschlaf dann doch 7 Std. Ich ließ mich auf mein Bett in der André Hütte fallen, und rührte mich für eine Stunde nicht einen Zentimeter. Erschöpfung hatte Besitz von meinem Körper ergriffen.

Der dritte Tag verschaffte etwas Linderung. Der Pfad konnte sich endlich dazu durchringen auf allzu viele Auf- und Abstiege zu verzichten. Nur den Elandbos River erreichten wir bei Hochwasser.
Die Badehose musste übergestreift und die Wertsachen einigermaßen wasserdicht verpackt werden. Der Wasserpegel stieg rasant und reichte schon hüfthoch. Ich entschied mich dazu, mein Gepäck aufzuteilen, um meine Sachen nicht nass werden zu lassen.
Bei der zweiten Überquerung verlor ich dann das Gleichgewicht. Nur noch die Hand mit dem Gepäck schaute aus dem Fluss. Aber ich kam mit dem Schrecken davon. Alles blieb trocken.

Etwa die Hälfte der Strecke war nach drei Tagen absolviert, aber die größte Herausforderung ließ noch auf sich warten. Am vierten Tag galt es, 13,7 km zu meistern – und den Bloukrans-River. Dieser lässt sich ausschließlich bei Niedrigwasser überqueren. Um aber am Vormittag um 10.30 h den Fluss zu erreichen, mussten wir uns noch vor der Morgendämmerung auf den Weg machen und die liebgewonnene Scott-Hütte verlassen. 10 Kilometer betrug die Distanz zur Flussquerung. Nach 6 km erschien mir das Unterfangen schon als aussichtslos. Regen hatte schon am Morgen eingesetzt und meine Wanderstiefel hatten sich mit Wasser vollgesogen. Das Terrain war ein einziger Affront gegen die Menschlichkeit und sollte unbedingt von der UNO auf Zulässigkeit in Augenschein genommen werden.

Ich liebäugelte schon damit, das Handtuch zu schmeißen und eine ,,Fluchtroute” zu nehmen, die auf kürzestem Weg zurück zur Zivilisation führt. Mein Gehirn hatte auf Autopilot gestellt und ich setzte nur noch einen Fuß vor den anderen.
Wie durch ein Wunder erreichten wir den Bloukrans just zur rechten Zeit. Peter, der Unerschütterliche in unserer Gruppe, war merklich enttäuscht. Der Vollmond hatte wohl für eine Springflut gesorgt, sodass das Fluss relativ leicht zu passieren war. Er hatte sich mehr Action erhofft.

Die letzten vier Kilometer verwandelten sich dann aber in eine Ewigkeit. Ich schlief neun Stunden und sehnte nun das Ende des Ottertrails herbei. Am Mittag kam dann das Nature Valley in Sicht. Ein riesiger Sandstrand breitete sich unter uns aus. Das Ziel und ein kühles Bier waren greifbar.
Die ersten Häuser kamen schon in Sicht, als ein Wegweiser uns nahelegte, dass wir uns nur noch schnell beim ,,De Vasselhot-Restcamp“ auszutragen und unsere Urkunde in Empfang zu nehmen. Leider stellte sich dieser kleine Abstecher als ein drei Kilometer langer Umweg heraus. Die Euphorie war erst mal verflogen.

Als wir dann schlussendlich das viel gepriesene und oft herbeigesehnte Restaurant am Strand erreicht hatten, erregte unser Anblick doch ein wenig Mitleid bei den übrigen Gästen. Auch unser Geruch mag nicht derangenehmste gewesen sein. Klippschliefer und Seehund sind Zeuge unserer Taten. Nur der Otter hat sich dieses Mal rar gemacht.

Fotos:

2 Vor dem eigentlichen Ottertrail zum Aufwärmen noch schnell zur Stormriverbrücke

1 Die Felsen der Tsitsikammaküste: Schön anzusehen, aber dem Wanderer nicht immer wohl gesonnen.

3 Zur Belohnung ein leuchtender Sonnenuntergang

4 Am Elandsbos-Rivier: Wer hat gesagt, dass Hindernisse nicht auch ein schönes Antlitz haben dürfen?

5 Oakhurst-Hut – ein neues Zuhause für eine Nacht