Gut Holz

IMG_9215IMG_9226IMG_9246Cricket in Südafrika

Von Stefan Tietjen (Text und Fotos)

Ich kann mich noch an diese bunten Bilder erinnern, auf die ich als Kind immer starrte, um die wahre Schönheit eines 3D Bildes ausfindig zu machen. Angeblich sollte sich ein solches hinter der Oberfläche der farbigen Striche und Punkte verbergen. Nur war ich nie erfolgreich.

So in etwa lässt sich auch die erste Begegnung mit dem Sport Cricket vergleichen. “Sport?”, werden sicherlich einige in den Raum werfen. “Da passiert doch nichts.” Selbst Synchronschwimmen ist interessanter als einigen in Weiß gekleideten Männern dabei zuzuschauen, wie sie mit einem Brett auf einen ledrigen Ball hauen.
Aber warum ist Cricket nach Bridge der zweitmeist geschaute und gespielte Sport der Welt?

Tatsächlich hat sich die Faszination für den Sport auch mir lange verschlossen. Erst zu Beginn meines vierten Jahres in Südafrika schenkte ich diesem Sport, dem ich zuvor entweder mit Verachtung oder mit Ignoranz begegnet war, Beachtung.

In Deutschland haben es alle Sportarten neben Fußball schwer, insbesondere dann, wenn es keine Erfolge zu verzeichen gibt. Cricket ist eine Sportart, die ausschließlich den Ländern des Commonwealth vorbehalten ist. Besonderen Zuspruch erfährt der “Thorball” in Indien, wo er den Status einer Religion einnimmt. 80.000 frenetische Fans in Stadien wie New Dehli oder Mumbai sind daher eher an der Tagesordnung. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Cricket-Größen der Welt zum Teil bis zu 1,5 Mio € für eine Saison erhalten, die allerdings nur zwei Monate beträgt.

Wichtigste Voraussetzung, um den Wettstreit zwischen Werfer (Bowler) und Schläger (Batsman) verfolgen zu können, ist Zeit. Es gibt verschiedene Formate dieser Sportart. Während das T 20 lediglich vier Stunden dauert, sind es beim ODI (Ein-Tag-Match) schon acht Stunden. Die Königsdisziplin ist dann das Test Match. Der Name klingt harmlos und erinnert an müde Vorbereitungsspiele von Werder Bremen im Trainingslager in der Türkei, dauert aber bis zu fünf Tagen und wird auch noch vier Mal in einem Monat ausgetragen.

Nun durfte ich meinem ersten Test Match zwischen Südafrika und England beiwohnen. Würde der ovale Rasenplatz in der Mitte des Stadions nicht sein, könnte man leicht meinen, an einem riesigen Picknick teilzunehmen. Nur ein Drittel des Stadions säumt eine Tribüne mit Sitzplätzen. Ansonsten bietet die grüne Wiese viel Platz für Decken, Campingstühle, Kissen und anderen Sitzgelegenheiten, die es den Zuschauen in den nächsten siebeneinhalb Stunden so angenehm wie möglich machen sollen.
Los geht’s: Der Duft von gegrillten Fleisch erfüllt schon am Vormittag die Luft. Das erste Bier ist schon gezapft und das Spiel kann beginnen. Die Stimmung im Stadion ist ausgelassen und bunt. Keine Spur von Verbissenheit. Ein Plausch mit den gegnerischen Fans ist sogar an der Tagesordnung.

Nach dem ersten Tag hatten sich die Proteas, so der Name der südafrikanischen Nationalmannschaft, schon einen komfortablen Vorsprung von 329 Punkten (Runs) erschlagen. Eine Besonderheit beim Cricket ist es, dass immer nur das Team Punkte erzielen kann, welches am Schlag ist. Erst nach Ende eines Innings (eine Spielphase) werden dann die Rollen getauscht. Die Stars der Südafrikaner heißen AB de Villiers und Hashim Amla und werden fortwährend von den Fans besungen und gefeiert. Die englischen Fans, die sogenannte “Barmy’s Army”, hält sich noch vornehm zurück. Es mag auch daran liegen, dass die Proteas bereits mit 475 Runs in Führung liegen, bevor auch der letzte der 10 Batsman zu einem Fehler gezwungen wurde und sein Leben (Wicket) verloren hatte. Bevor die Engländer aber die Aufholjagd starten dürfen, ist es Zeit für Lunch.

Erstaunt nehme ich zur Kenntnis, dass es den Zuschauern nun möglich ist, selber den heiligen Rasen zu betreten. Die Stimmung ist ausgelassen. Kinder mit Schlägern in der Hand nutzen gleich die Chance und üben sich als Cricket Stars von morgen. Auch Zuschauer mit ausgehölten Melonen auf dem Kopf oder orangenen Perücken sind zu sehen. Ein Cricket Spiel ist auch immer ein Einlass sich selber zu feiern und je mehr man auffällt, desto eher nimmt auch die Kamera einen war.

Es sollte vielleicht noch erwähnt werden, dass auf der südlichen Hemisphäre gerade Sommer ist und Schatten im Stadion von Centurion eine Mangelware ist. Der Sonne, die gnadenlos brennt, kann ich nur mit noch mehr Bier und Sonnencreme etwas entgegensetzen.
Man darf aber nicht glauben, dass der geneigte Cricketfan nun knappe acht Stunden gebannt dem Spielgestehen folgt, sondern er feiert sich gerne auch selber. Mal wird die Nationalhymne angestimmt oder es wird versucht, den gegnerischen Spieler mitSchmährufen versucht aus der Ruhe zu bringen. Auch ist es nicht ungewöhlich, wenn eine Gruppe sich für eine Stunde verabschiedet, um die Grillplätze im
Stadion aufzusuchen und die mitgebrachte Wurst für das Mittagessen anzurichten.

Während es in den deutschen Stadien meist nur noch alkolfreies Bier gibt, kann der durstige Fan hier auch eine Brandy-Cola, das südafrikanische Nationalgetränk, an der Bar bestellen. Es ist nun schon “Tea Time”, auch die Spieler haben mal eine Pause verdient und die englischen Fans haben ihre Stimmen nun reichlich geölt. Es ist an der Zeit, dass gesungen wird.

Als am Abend der letzte Ball geworfen wird und die Schatten länger werden, bin ich doch froh, dass der Tag ein Ende gefunden hat. Der Platz im Pool neben dem Spielfeldrand wäre das Geld vielleicht doch wert gewesen. England hat noch solide 140 Punkte auf seinem Konto angehäuft.

Erschöpft kehre ich abends nach Pretoria zurück und werde von meiner Familie mit den Worten empfangen, wie es denn ausgegangen sei. Ich muss schmunzeln. “Wieso ausgegangen?” Es sind ja noch drei Tage zu spielen.” Aber heute erkläre ich Ihnen diesen Sport nicht mehr.

Unser netzpool-Korrespondent Stefan Tietjen arbeitet als Lehrer in Südafrika. Seine Erlebnisse zwischen Pretoria und Kapstadt schreibt er in unregelmäßiger Reihenfolge – unzensiert, persönlich, live und in Farbe.