Die religiöse Rede von Björn Engholm ( im 14. Jazzgottesdienst mit ihm ) in der St.Stephanus-Kirche in Lübeck ( übertragen von H.Rußmann )
Der Menschensohn Jesus -– ein zeitloses Vorbild
1. In der Schule gab es nach 1945 schüchterne Versuche, die Religion nach ihrem Siechtum in der Nazi-Zeit neu zu beleben. Unser freundlicher Volksschullehrer unterrichtete damals alle Fächer und erzählte uns im Religionsunterricht vom Herrgott. Wir fragten ihn: Wie sieht er aus ? Wo lebt er ? Kann man mit ihm sprechen ? Kann man ihn besuchen ?
Diese Fragen sind nicht neu. Schon immer wollten Menschen eine konkrete Vorstellung von Gott haben. Auch der Jesus-Jünger Philippus fragt Jesus: „Zeige uns den Vater ! Stell ihn uns vor!“
Die alten Kulturen in Ägypten, Mesopotamien und Griechenland hatten es leichter. Es gab figürliche Darstellungen von Gott und den Göttern: Plastiken, Reliefs, auch Malereien. Für Juden, Christen, Moslems dagegen gilt das Bilderverbot: Du sollst Dir kein Bild machen und kein Abbild Gottes verehren. Die Verehrung gilt Gott allein. Nicht irgendeiner Darstellung von ihm.
In der Schule gab es auch kein Bild zu sehen. Dafür aber hat unser Lehrer uns sehr drastische Beschreibungen von Gott gegeben. Strenge Gebote dessen , der alles lenkt. Einer, der alles sieht, sozusagen ein himmlischer Polizist. Einer, der hart straft bei Verfehlung. Ein Richter, der entscheidet, ob man in den Himmel oder in die Hölle kommt.
Das war eher furchterregend, nicht dazu angetan, Zutrauen zum Glauben zu fassen, geschweige denn, Liebe zu Gott zu empfinden. Dieses falsche Gottesbild hat vielen für lange Jahre den Zugang zum Glauben erschwert, jedenfalls den inneren Zugang.
2. Erst nach und nach haben wir uns von diesen früh eingeschliffenen Gottesbildern befreit. Und begriffen, dass die Botschaft , soll sie froh sein und froh stimmen, einer anderen Vorstellung von Gott bedarf. Da aber Gott unsichtbar ist, außerhalb des Realen, brauchen wir Menschen eine möglichst praktische, wenn es geht physische Anschauung von ihm und der Botschaft. Und die gibt es: Gott verkörpert sich im Sohn, in der ganz realen Person von Jesus.
Jesus ist das Ebenbild, ist die Verkörperung Gottes. Sein Leben, sein Tun, seine Botschaften, sein Denken, sein Geist: alles, was im Testament über und von ihm berichtet wird , macht Gott unmittelbar begreifbar. Gott offenbart sich im Sohn.
Dabei wird niemand im neuzeitlichen Verständnis gezwungen, sich der großen Botschaft und dem Glauben zu öffnen. Wir sehen es so: Gott bietet den Glauben an, schlägt ihn vor- und der Mensch entscheidet, ob er zuläßt, daß die Botschaft ihn erreicht, ob er Jesus einläßt. – So wie es in der Offenbarung des Johannes ( 3,20 ) beschrieben wird: „Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wer meine Stimme hört und die Tür öffnet, bei dem werde ich eintreten und wir werden Mahl halten, ich mit ihm und er mit mir !“ Es ist an uns Menschen, ob wir uns ihm öffnen.
3 Was wissen wir über Jesus, der sich selbst als der Menschensohn bezeichnete, als einer, der mit und unter den Menschen lebte ? Im Jahre 4 vor unserer Zeitrechnung ist er in Bethlehem geboren . Vor dem König Herodes flieht seine Familie nach Ägypten. Sie kehrt später zurück nach Nazareth. Dort erhält Jesus bei Joseph eine Ausbildung als Zimmermann. Ungefähr mit dreißig Jahren läßt er sich von Johannes den Täufer taufen. Damit betritt Jesus die öffentliche Bühne und versteht sich als Menschensohn. Er wirkt in Israel nur drei Jahre lang. Dann wird er verhaftet, verurteilt, gekreuzigt und ist auferstanden.
Was immer in der damaligen Geschichtsschreibung hinzugedacht, hinzuempfunden hinzugeschrieben wurde, so steht fest: Es gab ihn. Er hat als reale Person existiert. Fest steht auch: er muß über ungewöhnliche, alles menschliche Maß unendlich übersteigende Kräfte verfügt haben. Er war ein ohne Zweifel ein großer Charismatiker !
Das Neue Testament berichtet über eine Fülle von Taten, die allesamt an Wunder grenzen oder den Charakter von Wundern tragen.
Da sind die Heilungswunder einschließlich der Austreibung der damals sogenannten Dämonen. Geheilt wurden zum Beispiel Besessene, psychisch Kranke, Stumme, Blinde , Gelähmte, ein von Aussatz , ein von Gicht Geplagter, ein Schlafwandler…
Die Heilungen werden nicht als Zauberei oder Magie berichtet– es gibt auch keine mystischen Beschwörungsformeln ! Seine Heilungen gelingen durch Kompetenz, die Macht des Wortes, durch tiefe innere Zuneigung und Zuspruch. Durch die starke Aura von Jesus und durch seine Aura-Übertragung ! Es sind Dinge, die auch in der Heilkunde heute und in der alternativen Medizin eine Rolle spielen: den leidenden Menschen in ihrem Leid zur Seite stehen – auch mit den Sündern – und sie vom Leid befreien ! Es gibt Analogien zu heute. Der Glaube versetzt Berge !
Da sind die Geschenkwunder: die Speisung der Fünftausend, der wunderbar überbordene Fischfang des Petrus, die Verwandlung von Wasser in Wein bei der Hochzeit zu Kana. Es sind Geschichten, die das ur-christliche Motiv des Helfens, der Barmherzigkeit, des Teilens mit dem, der Mangel leidet, plastisch machen.
Dann sind da die Rettungswunder. Jesus rettet die Jünger in Seenot. Petrus versinkt mit Jesu Hilfe nicht im See. Dahinter steht das christliche Motiv des Sich-Einsetzens, wenn Menschen in Not sind, sogar unter Einsatz des eigenen Lebens. Selbstlosigkeit, Hingabe.
Hinzu kommen zu den Wundern auch Totenerweckungen, Vorhersagen, Vorherwissen. Die Frage kann insgesamt nicht heißen, wie vieles davon im Detail real passierte oder wie es erklärbar sein könnte. Zumal Jesus selbst es ablehnte, Wunder zur Rechtfertigung des Glaubens zu volbringen – und den Seinen befahl, von seinen Wundern zu schweigen. ( Mk-Ev. 5,43 )
4 Die eigentliche Frage scheint mir, was wir aus dem Leben, dem Denken und dem Tun von Jesus lernen können? Was zeichnet ihn aus, was sind seine Charakteristika ?
Er mochte das Leben; er liebte die Schöpfung – das heißt: Menschen, Gesellschaft und Natur. Er war ganz und gar diesseitig und lebensorientiert.
Er liebte die Menchen, nahm sie an und auf, wies ihnen Wege, gab Rat ( auch den Nicht-Gläubigen und die sich versündigt hatten). Er war gemeinschaftsorientiert, jedem Egoismus und Narzißmus abhold ! – Er half seinen Mitmenschen, machte ihnen Mut. Stellte sich nicht über sie, erniedrigte sich selbst sogar, wo nötig. – Mitempfinden; Nächstenliebe und Barmherzikeit also. Heute würden wir sagen: eine starke solidarische Orientierung. – Er war freundlich, liebenswert, zugeneigt; nie böse, ablehnend, nie vergrätzt, uninteressiert.am Schicksal des Nachbarn und Nächsten. Einer mit allen zivilen Tugenden, ein hochkultivierter Mensch, würde man heute sagen.
Ganz bedeutsam: Jesus ist Friedensstifter. Kein Auge um Auge, Zahn um Zahn, nicht Böses mit Bösem vergelten. Mit Liebe und Überzeugung gegen Mißgunst, Haß und Gewalt! Er vertrat was am Lübecker Holstentor steht: Concordia domi, foris pax. Für Eintracht in der Gemeinschaft sorgen. Sorge tragen, dass der Friede nach außen gesichert wird.
Vor allem: Jesus war keiner , der seine Überzeugungen aufgab. Er paßte sich nicht an, war kein Wendehals, hielt fest an seinem Glauben, an den großen Werten und gab sie auch angesichts des Todes nicht preis. Im Gegenteil: er bat noch zum Ende darum, den Schuldigen, seinen Peinigern zu vergeben… Er wurde dadurch ein Vorbild auch für die vier Lübecker Märtyrer, die wir heute verehren.
SUMME: Jesus folgte einem großen Ziel, dem unverrückbaren Vorsatz, daß all´ sein Denken und Tun nie negative, sondern nur positive Folgen haben sollte. Er verkörperte vollendet die Goldene Regel: Was Du von anderen erwartest, tu´ es auch ihnen und mach es ihnen vor… Es ist wunderbar so zu leben ! Oder mit Kant, dem großen Philosophen der Aufklärung: Handle so, daß aus den Motiven deines Handelns ein Gesetz für alle werden kann, zum Nutzen aller !
Man nennt dieses hohe Ziel und das ihm entsprechende Handeln: ETHOS. Und Menschen, die Ziel und Weg verbinden Verantwortungsethiker. Max Weber und Helmut Schmidt haben das herausgestellt. Jesus war in diesem Sinne der erste und größte Verantwortungsethiker in der Geschichte !
5 Nun lesen wir bei dem bedeutenden Philosophen Habermas, daß wir in unübersichtlicher Zeit leben. Besser noch in einer Zeit der Ungewißheiten. Ungewißheit ist die vielleicht stabilste Gewißheit unserer Tage. Wir lesen jeden Tag von Rettungsschirmen, Sicherheitsmechanismen, Hilfsprogrammen unvorstellbarer Größe für Griechenland, Portugal, Spanien, Zypern, Italien , exakt für die Banken und Kreditinstitute ! Wer wagt da noch eine Prognose für den EURO und die Zukunft der Wertstabilität ? Hinzu kommt zwanzig Prozent Arme in reichen Gesellschaften, fünfzig Prozent Jugendarbeitslosigkeit in manchen EU-Ländern wie Spanien und Griechenland. Dagegen Spitzeneinkommen , die das fünfhundertfache des Einfachverdienstes betragen. Wie lange tragen die Menschen das noch mit ? Was geschieht, wenn sie es nicht mehr mittragen ? Was passiert mit der EU, mit der Demokratie ? Darbende Gesundheitsysteme, finanzielle Nöte in der Kultur, im Bildungs- und Wissenschaftsbereich, zukünftige drohende Altersarmut ?
Wo sind die Antworten, die Problemlösungen, die Perspektiven für die kommende Generation ? Die Zwänge der Weltpolitik verändern auch die Menschen selbst . Sie fangen an, immer mehr an sich selbst als an andere zu denken. Die eigene Karriere, die der Kinder, der Status, dieses: Hast Du was, bist Du was, die harten Konkurrenzen im Beruf, das eigene Überleben: eine schleichende Entsolidarisierug hat schon lange begonnen.
6 So ist es allzu verständlich, daß man an allen Orten einerseits auf kluge Normen und Gesetze hofft, die unserer Gesellchaft langfristig ein qualifiziertes Überleben und den Bürgern eine solide Existenz sichern, Andererseits sucht man nach Beispielen und Menschen, die überzeugend verdeutlichen, daß und wie neue Perspektiven auch auf neuen Wegen möglich sind.
Man sucht nach VORBILDERN, nicht nur nach Gesetzen.
In der Politik sind sie rar geworden; das von Machtkonkurrenz bestimmte Feld der Parteien macht Vorbildhaftigkeit immmer schwerer. Für die Größen von einst: Adenauer, Heuß, Heinemann, Brandt, von Weizsäcker, Schmidt werden die Nachfolger noch gesucht.
In der Wirtschaft bilden globale Zwänge, Rendite-Erwartungen, persönliche Gier und Abgehobenheiten einen Humus, auf dem Ethos nicht wachsen kann.
In Bildung und Wissenschaft ( wo es viele vorbildliche und engagierte Menschen gibt ) erstickt der Zwang zu immer besseren Ergebnissen in immer schnellerer Zeit das Bemühen um soziale Persönlichkeitsbildung.
Selbst den Kirchen trauen die Menschen ( obwohl in Deutschland circa sechszig Prozent entweder evangelische oder katholische Christen sind ) nur bedingt. Im Ranking stehen die Geistlichen mit 28 % Zustimmung im Mittelfeld, allerdings deutlich vor Bankern mit 4 % und den Politikern mit 6 % , weit hinter der Feuerwehr mit 80 %.
Daß mit Beten allein die Welt verändert und verbessert wird, glaubt auch bei Gläubigen nur noch eine kleine Minderheit – zumal, wenn unter den Vorbetern einige sind, die ihrem Bekenntnis zuwiderhandeln!
Deswegen suchen wir weiter in allen Berichen unserer Gesellschaft nach Vorbilder, nach Leitbildern, nach Bedingungen für Vorbildhaftigkeit.
Gesucht wird im Deutschen Ethikrat – In der Ethikkommision – Governance Kodex der Wirtschaft – Corporate Identity – Deutscher Werterat- Presserat – in Kirchenkommissionen über Moral und Ethik.
Und alle, die da suchen und hehre Prinzipien formulieren sind meistens getauft, sind Christen der einen oder anderen Konfession. WAS MICH IMMER WIEDER AUFS NEUE VERWUNDERT IST : bei allen Diskussionen über Vorbilder, Leitbilder, ethische und moralische Wegweisungen WIRD DER NAME JESUS KAUM ERWÄHNT.
Dabei verkörpert er alle bedeutenden Tugenden und Werte, nach denen heute gerungen wird und die wir heute so nötig brauchen !
Er steht für die zentralen Werte der Menschheit: Friedfertigkeit, Freiheitlichkeit, Gerechtigkeit, Zuneigung, Liebe …
Er besitzt all die individuellen Tugenden: Mitmenschlichkeit, Mitempfinden, Bescheidung, Ausgleich, Hilfsbereitschaft, Anstand…
Und er verfügt erstaunlicherweise über all` jene Fähigkeiten, die heutzutage auch in der Wirtschaft erwartet werden: er ist EIN MACHER, handelt statt nur zu reden, setzt sich nachhaltig ein und ist dabei hocheffizienter als alle in der Geschichte.
Er ist also nicht nur ein spiritueller Wegweiser, sondern überragend zeitloses Vorbild für weises Denken, für tatkräftiges Handeln und Gutes tun zugunsten der Menschheit !
Ich glaube, ein überzeugenderes Vorbild läßt sich in unserer Geschichte nicht finden ! Also täten die Menschen und insbesondere die Eliten gut daran, sich an ihm zu orientieren und ihn als Vorbild zu nehmen! Ihm, wo immer es geht nachzufolgen ! Vielleicht keine so großen Wunder wie er vollbringen, aber doch viele kleine Wunder in der Nachfolge durch gutes Tun. Jeden Tag und immer wieder !
Und dass damit – vielleicht ganz langfristig – die Welt der Lebenden zum Himmel auf Erden wird. Diese Hoffnung wollen wir nicht aufgeben !