Er war mein Lehrer, mein Mentor – ich sein Bewunderer bei HörZu u.a.. Peter Bachèr, Urenkel von Theodor Storm, war stets ein Gentlemen, immer ruhig, gelassen, gütig und demütig. So schreibt er heute noch (für Bild u.a.) – fast neunzig Jahre alt. Aus dem Herzen in die Herzen. Lesen Sie mal:
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“Plötzlich überfiel mich das Gefühl, noch ein paar Seiten im Buch des Sommers zu blättern, ehe er sich von dannen macht. Also fuhr ich hinein ins Voralpenland, im Rückspiegel die Silhouette von München, vor mir die Kette der Alpen, im flirrenden Septemberlicht lag sie da wie hingegossen.
Und wieder ist die Verzauberung da, die diese blumenprangende Bilderbuchlandschaft mühelos schafft. Ob Rom, Venedig, Taormina, Ibiza, Mallorca und wie die südlichen Traumziele alle heißen mögen, sie alle können doch eines nicht wettmachen: die Schönheiten, die – spielend und für uns immer erreichbar – vor unserer Haustür liegen.
In einem kleinen Ort bei Holzkirchen lege ich eine Pause ein. Eine Kirche, ein paar Grabkreuze drumherum. Ein paar Bauernhäuser. Ein Kruzifix. Ein Weiher, in dem sich der blau-weiße Himmel spiegelt, den ich nun sogar sehe, wenn ich nicht nach oben schaue.”
Und davor eine Tafel mit einem kleinen Vers, vier Zeilen nur. Der Vers ist über zweihundert Jahre alt, er klingt so naiv, dass ich mich kaum traue, ihn hier zu zitieren.
Was nah ist und was ferne
Von Gott kommt alles her,
der Strohhalm und die Sterne
der Sperling und das Meer.
Matthias Claudius hat uns diesen wunderschönen Gedanken geschenkt, ein Dichter, der den „Wandsbecker Bothen“ einst herausgab. Ich glaube nicht, dass unsere Kinder seinen Namen noch in der Schule erfahren. Und ob sie mit diesem Vers etwas anfangen können, weiß ich erst recht nicht.
Aber mich hat der Text berührt, weil in ihm etwas mitschwingt, was wir heute so gerne verdrängen: dass wir nichts in den Händen halten, was uns zuvor nicht gegeben wurde; dass Feuer, Wasser, Luft und Erde alle unter Gottes Gebot stehen; dass selbst der kleinste Halm am Wegesrand nicht anderes ist als ein Gottesbeweis.
Irgendjemand muss diese Tafel hier aufgestellt haben. Ein Signal an die Eiligen. Eine Aufforderung, mal schweigend nachzudenken. Sicher, Matthias Claudius ist tot. Und mit einem Sperling und einem Strohhalm könnte uns die neue deutsche engagierte Literatur auch nicht hinter dem Ofen hervorlocken, den wir bald wieder in Betrieb nehmen müssen.
Aber diese eine Zeile „Von Gott kommt alles her“, die sollten wir uns merken. Und beim Sonntagsspaziergang an sie denken, wenn es ihn denn bei uns Kindern des Jogging-Zeitalters überhaupt noch gibt, modern wie wir sind.”
Foto: Slay hörzu