Lyonel Feininger. Lübeck – Lüneburg

Ein Werk des aus New York stammenden Malers Lyonel Feininger galt lange als Lübeck-Bild. Dann hieß es, es zeige Lüneburg. Ein einjähriges Forschungsprojekt des Museums Behnhaus Drägerhaus brachte Klarheit. Nun präsentiert das Haus das Gemälde, das nachweislich einen Lübecker Straßenzug zeigt, in einer Feininger-Ausstellung. Die Schau Lyonel Feininger. Lübeck – Lüneburg wurde am heutigen Vormittag im Rahmen eines Pressetermins der Öffentlichkeit präsentiert.
„Diese Ausstellung zeigt eindrucksvoll, dass einzig eine angemessene wissenschaftliche Forschung zu guten Präsentationen führen kann“, erklärte Prof. Dr. Hans Wißkirchen, Leitender Direktor der Lübecker Museen. Und fügte hinzu: „Es freut mich besonders für den uns sehr verbundenen Leihgeber des Bildes, dass nun zweifelsfrei feststeht, dass es sich um eine Lübeck-Ansicht handelt.“
Die vielfältigen Verbindungen Lübecks zur Kunst der klassischen Moderne sind vor allem
durch Edvard Munch, Emil Nolde oder Ernst Barlach bekannt. Von einem Bezug Lyonel
Feiningers zur Hansestadt wusste man lange Zeit nichts. Erst als 1986 völlig überraschend ein „Lübeck“ betiteltes Gemälde Feiningers auf dem Kunstmarkt auftauchte und dieses für das Museum Behnhaus Drägerhaus als Leihgabe erworben werden konnte, gab es hierfür einen Beleg.
Zu einer näheren Auseinandersetzung mit dem Bild und den Hintergründen seiner
Entstehung kam es allerdings erst, als Zweifel am Motiv laut wurden. Ein im Busch-
Reisinger Museum der Harvard University aufgefundenes Foto zeigt eine Zeichnung gleichen Motivs: einen Straßenzug mit Giebelhäusern, bezeichnet mit „Lüneburg, 1929“. So wurde das Gemälde zu einer Ansicht Lüneburgs.

Lübeck. Alte Häuser, 1931 © VG Bild-Kunst, Bonn 2013

Lübeck. Alte Häuser, 1931 © VG Bild-Kunst, Bonn 2013

Vor gut zwei Jahren entschieden Museumsleitung und Leihgeber, der Geschichte und dem
Motiv des Gemäldes in einem Forschungsprojekt nachzugehen. Schon die Herkunft des
Gemäldes bot dazu Anlass. Es gehört zu den Werken, die Lyonel Feininger im Zuge seiner
Rückkehr in die USA 1937 bei einem Freund, Hermann Klumpp, in Quedlinburg ließ und die
erst durch einen von den Erben angestrengten Prozess 1984 restituiert wurden. „Der Fall
Feininger“ wurde 2006 von Petra Werner im gleichnamigen Buch aufgearbeitet. Das
fragliche Lübeck-Gemälde wurde 1985 auf ausdrücklichen Wunsch der Erben Feiningers der Hansestadt Lübeck zum Kauf angeboten und durch einen privaten Mäzen erworben. Es galt demnach auch den Söhnen Lyonel Feiningers als Ansicht Lübecks.
Dass dies nun im Zuge der Nachforschungen eindeutig belegt werden konnte – dargestellt
ist die Lübecker Schmiedestraße – mag zunächst von bloß lokalhistorischer
Bedeutung sein. Die Erkenntnisse, die sich daraus jedoch für die Arbeitsweise Feiningers
ergaben, werfen ein neues Licht auf das Werk des deutsch-amerikanischen Künstlers.
Im Spätsommer 1921 besuchte Lyonel Feininger gemeinsam mit seiner Frau Julia
Norddeutschland. Auf der Suche nach Orten norddeutscher Backsteingotik bereisten sie
neben Hildesheim und Lüneburg ab dem 22. August 1921 auch Lübeck. Im darauffolgenden Sommer kam Feininger zu einer zweiten Reise an die Ostsee zurück und machte gemeinsam mit Walter Gropius, dessen Frau Alma und dem Ehepaar Kandinsky erneut Urlaub in der Lübecker Bucht. Zeugnisse dieser Reisen sind neben diversen  Naturnotizen Lübecker Altstadtstraßen auch eine Zeichnung von 1929, außerdem ein 1934 datiertes Aquarell sowie das im Lübecker Museum Behnhaus Drägerhaus als Leihgabe befindliche Ölgemälde „Lübeck. Alte Häuser” von 1931 und ein Aquarell gleichen Motivs von 1954.

Timmendorfer Strand II, 1923, Privatsammlung © VG Bild-Kunst, Bonn 2013

Timmendorfer Strand II, 1923, Privatsammlung © VG Bild-Kunst, Bonn 2013

„Bemerkenswert ist der neuerliche Beleg dafür, dass sich Feininger lange nach seiner
Rückkehr in die USA weiterhin mit den Motiven seiner Reise durch Norddeutschland 1921
künstlerisch auseinandersetzte“, erklärte Dr. Alexander Bastek, Leiter des Museums Behnhaus Drägerhaus. Allen Orten dieser Reise, neben Lübeck auch Lüneburg
und Hildesheim, widmete Feininger 1953/54 rückblickend Gemälde bzw. Aquarelle, die nun
in der Ausstellung gezeigt werden. Die verschiedenen künstlerischen Aneignungen
norddeutscher Städte – vor Ort gezeichnete Naturnotizen, grafische Fortführungen mit
Abstand mehrerer Jahre im Atelier und Gemälde als später Schlusspunkt – geben Einblicke in die Arbeitsweise Feiningers. Er schwankte zwischen exakter Stadtansicht und verklärter Erinnerung an norddeutsche Backsteinarchitektur. In diesem Spannungsbogen bewegen sich die Ansichten Lübecks und Lüneburgs in Feiningers Werk, was bereits die Titel „Lübeck“ und „Lüneburg“ einerseits und „Old Gables“, „Old World Architecture“, „Alte
Häuser“ oder „Shadow of Dissolution“ andererseits aufzeigen. Feininger beschrieb sein
Lübeck-Gemälde in einem Brief an seine Frau Julia entsprechend als „Inbegriff alter
norddeutscher Backsteingiebel und Klamotten!“. Während er 1931 seine Serie von Halle-
Motiven als Auftragsarbeiten zum Abschluss brachte, begann er zeitgleich zwei weitere
Gemälde ohne Auftrag: „Die Marktkirche in Halle“ und „Lübeck. Alte Häuser“. Er nannte die
Arbeit an diesen Werken seiner Frau Julia gegenüber „Extratouren“, ohne die er „vorige
Woche nicht [hätte] durchkommen können.“ Und er schreibt weiter, die Bilder „gehören
uns.“ Beiden Gemälden kommt also eine besondere Rolle im Werk Feiningers zu. Während die nächtliche Ansicht der Marktkirche, obwohl außerhalb des eigentlichen Auftrags gemalt, dennoch als Teil der elf Gemälde umfassenden Halle-Serie an die Moritzburg ging, blieb „Lübeck. Alte Häuser“ in Feiningers Besitz.
Nach der Auflösung des Dessauer Bauhauses 1932 siedelten Lyonel und Julia Feininger
1933 nach Berlin-Siemensstadt über. Da in die kleine Wohnung in Berlin jedoch nur wenige Bilder mitgenommen werden können, mussten große Mengen an Bildern aus Dessau sowie dem großen Atelier in der Moritzburg „zwischengelagert” werden. Die Lübeck-Ansicht sowie 63 weitere in Weimar, Dessau und Halle entstandene Arbeiten Feiningers wurden so in den kommenden Jahren schrittweise zur zwischenzeitlichen Lagerung bei Hermann Klumpp, einem promovierten Juristen und ehemaligem Architekturstudenten am Bauhaus, in dessen Elternhaus in Quedlinburg zurückgelassen. Klumpp hatte das Ehepaar Feininger 1929 kennengelernt. Hermann Klumpps Beschreibungen folgend, geschah die Übergabe damals sehr überstürzt. Vermutlich zog sie sich als schrittweise Übergabe bis zur Emigration 1937 hin.

Fotografie der Lübecker Schmiedestraße, nach 1933, St. Annen Museum

Fotografie der Lübecker Schmiedestraße, nach 1933, St. Annen Museum

Die im Werkverzeichnis Lyonel Feiningers von Hans Hess und Julia Feininger als
„unzugänglich“ bezeichneten Werke werden über den Zweiten Weltkrieg und die Wirren der Nachkriegsjahre hinweg im elterlichen Betrieb Hermann Klumpps in Quedlinburg
aufbewahrt. Die Mehrzahl der Bilder stammt aus der Zeit zwischen 1907 und 1916 – nur
drei Werke (darunter „Lübeck. Alte Häuser) sind späteren Datums. Mit Hermann Klumpp
wurde 1937 die zeitnahe Übersendung der Bilder nach Amerika verabredet. Briefe Julia
Feiningers belegen die spätere Ankunft von einigen Bildern und erbetenen Unterlagen. Ein
Großteil dieser einzigartigen Sammlung blieb jedoch bis vorerst 1973 (d.h. insgesamt circa 40 Jahre) weitestgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit in Quedlinburg zurück.
Am 15. Januar 1956 verstarb Lyonel Feininger in seiner New Yorker Wohnung. Im Jahr
1970, nach dem Tod seiner Frau Julia, klagten die Erben des Malers, seine drei Söhne
Andreas, Laurence und T. Lux, auf Rückgabe der insgesamt 64 Bilder. Hermann Klumpp
war zur Herausgabe der Bilder nicht bereit. Er berief sich auf die jahrzehntelange,
tatsächlich nicht ungefährliche Aufbewahrung der Bilder. Der Prozess dauerte insgesamt
circa sechs Jahre. Weitere neun Jahre sollten vergehen, bis die mittlerweile für die
Gemälde verantwortliche DDR die Bilder tatsächlich außer Landes in die USA reisen ließ.
Diese und zahlreiche weitere Rechercheergebnisse sollen in der Ausstellung
präsentiert werden.
Die Schau, die vom 16. November 2013 bis zum 16. Februar 2014 zu sehen ist, zeigt außerdem Werke, die während des Sommeraufenthalts des Künstlers unter anderem in Timmendorfer Strand, Neustadt und auf der Insel Fehmarn entstanden.

Katalog
Zur Ausstellung erscheint ein reich bebilderter Katalog, in dem die ganze Geschichte von Feiningers Lübeck-Gemälde nachgezeichnet wird. Preis: 19.90 Euro

Führungen
Jeden Sonntag um 11.30 gibt es Führungen durch die Ausstellungen.
Abendführungen (17 Uhr) finden am 20. November, 18. Dezember, 15. Januar und 12. Februar statt.
Preis: 4 Euro, zzgl. Eintritt

Spaziergänge auf den Spuren Feiningers
An einem Spaziergang auf den Spuren des Künstlers kann man am 24. November, 15. Dezember, 19. Januar, 16. Februar teilnehmen. Beginn ist jeweils um 14 Uhr. Der Feininger-Stadtbummel startet mit einem Kurzbesuch der Ausstellung im Museum.
Die Teilnahme kostet 10 Euro.

Führungen und Stadtspaziergänge können auch individuell gebucht werden.
Telefon: 0451-1224148

Öffnungszeiten des Museums
Dienstag bis Sonntag, 10 bis 17 Uhr
Heiligabend, Weihnachtsfeiertage, Silvester und Neujahr geschlossen.

Eintritt
6 Euro / 3 Euro

Adresse
Museum Behnhaus Drägerhaus
Königstraße 9-11
23552 Lübeck
Telefon: 0451-1224148
behnhaus@luebeck.de

Museum Behnhaus Drägerhaus, Lübeck
Laufzeit: 16.11.2013 bis 16. 02. 2014