Einst vergessen, heute weltbekannt: Sisi, Kaiserin von Österreich, wurde
am Heiligen Abend vor 175 Jahren geboren.
Zum 100. Geburtstag hatte die Nachwelt sie vergessen. An diesem Weihnachtsfest jährt sich ihr Wiegenfest zum 175. Mal, und jetzt kennt jedes Kind Kaiserin Elisabeth von Österreich, die berühmte Sisi. Ihr Schicksalsweg aus dem bayerischen Possenhofen in die Wiener Hofburg hat Millionen von Kinobesuchern gerührt. Erst der Film nämlich hat das am 24. Dezember 1837 geborene Sonntagskind wieder ins Bewusstsein gebracht.
Jahrzehntelang flossen Tränen der Rührung, denn alle Jahre wieder wurden die Sissi-Filme zur Weihnachtszeit im Fernsehen wiederholt.
Ihren Wiederaufstieg verdankt die Kaiserin dem österreichischen Regisseur Ernst Marischka. Er brachte 1955 die Geschichte der bildschönen, aber
traurigen Elisabeth ins Kino. Er fügte ihrem Namen übrigens das zweite „s“ hinzu. Daheim in Bayern war sie einfach Sisi. Marischkas Film „Sissi“
wurde ein Kassenschlager. Der Erfolg war so groß, dass ein Jahr später Folge zwei erschien, „Sissi – Jugendjahre einer Kaiserin“. 1957 dann die
Nummer Drei: „Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin“. Romy Schneider und Karlheinz Böhm wurden mit den Rollen der Sissi und des jungen Habsburger Monarchen Franz Joseph identifiziert.
Es blieb nicht beim Film. Fernsehfolgen und Comicserien sprangen auf den Erfolgszug auf. In Wien gibt es das Sisi-Museum, und seit 20 Jahren läuft dort das Musical „Elisabeth“ von Michael Kunze (Text) und Sylvester Levay (Musik). Die Beiden wollten sich von den etwas rührseligen Filmen absetzen. In ihrem Musical treten gleich zu Beginn der Tod und der Mörder auf, der Sisi am 10. September 1898 in Genf mit einer angespitzten Feile niederstach. „Ich habe sie ermordet, weil sie es wollte“, behauptet der Mörder im Musical.
Durch die unterschiedlichen Akzente der Handlung machen sich Sisi-Fans bis heute auf Spurensuche. Wer war, wie lebte die wahre Sisi? Wahr ist auf jeden Fall der Anfang der Romanze, ihre Jugend in freier Natur in Bayern. Ihre Eltern, Ludowika und Herzog Max in Bayern, hatten acht Kinder, darunter sechs Mädchen. Die Mama kümmerte sich um die Erziehung. Herzog Max zog andere Vergnügungen vor, Freundinnen oder seine Stammtischrunde. Er war der beliebteste Wittelsbacher, konnte ungeniert leben, weil seine Seitenlinie keine Regierungsverantwortung zu übernehmen brauchte, aus
München aber finanziell abgesichert war. Zu Ludowikas Sorgen gehörte es, die Töchter standesgemäß unter die Haube zu bringen.
Ludowika und ihre Schwester Sophie, die Kaiserinmutter in Wien, hatten Pläne geschmiedet. Franz Joseph sollte Prinzessin Helene aus Possenhofen heiraten. Auf dem Ball im österreichischen Bad Ischl, wo die Verlobung bekannt gegeben werden sollte, kam es anders. Franz Joseph verliebte sich in die jüngere Schwester der von den Müttern ausgesuchten Prinzessin. Das Leiden begann im Jahr drauf, weil Sisi sich so gar nicht ins gestrenge Hofzeremoniell in Wien fügen wollte.
Eigentlich hätte Erzherzogin Sophie in Wien selber regieren können. Sie hatte zugunsten ihres Sohnes verzichtet. Ebenso hatte sie Franz Josephs Vater zum Verzicht bewogen. Von ihm, Erzherzog Franz Carl, sagte man, er sei nicht willensstark genug, um die Doppelmonarchie in schwierigen Zeiten zu regieren. Franz Joseph bestieg den Thron im Revolutionsjahr 1848, 18-jährig. Da er am Gottesgnadentum festhielt, fehlten ihm erfahrene Minister als Ratgeber. Die starke Kraft hinter vielen Entscheidungen war
Erzherzogin Sophie, seine Mutter.
Mit Sisi schien ein Lichtblick in die Hofburg einzuziehen. Im Jahr der Eheschließung 1854 wurde in Budapest die Stephanskrone wiedergefunden, die 1848 spurlos verschwunden war. „Seit Maria Theresia ist Elisabeth der erste Mensch wieder in der Hofburg“, sagt im Film der ungarische Graf Andrassy. Sisi, die sich gegen den Willen der Schwiegermutter für eine ungarische Hofdame entschieden und Ungarisch gelernt hatte, half ihrem Mann sehr, die aufrührerischen Magyaren bei der Kaiserkrone zu halten. Die Auseinandersetzungen mit der Tante und Schwiegermutter um die Erziehung ihrer vier Kinder belasteten die junge Kaiserin allerdings ungemein. Sisi flüchtete sich in Krankheiten und ging auf Reisen. Beliebte Ziele waren Inseln und Mittelmeerländer. Auf Madeira steht ihre Statue vor dem ältesten Hotel, dem 1893 eröffneten Reid’s in der Hauptstadt Funchal. Auf Korfu im krisengeschüttelten Griechenland ist ihr Schlösschen, das Achilleion, bis heute Touristenmagnet.
Nach ihrer Ermordung zog übrigens Deutschlands letzter Kaiser ins Sisi-Schloss. Wilhelm II. regierte zwischen 1908 und 1914 im Frühjahr das deutsche Reich von der Terrasse des Achilleions aus. Seine Majestät ließen allerdings den Namensgeber des Anwesens, Sisis „Sterbenden Achill“ versetzen. Die Marmorstatue des Berliner Bildhauers Ernst Herter wurde durch einen monumentalen „Sieghaften Achill“ aus Bronze ersetzt, geschaffen von Johannes Götz aus Potsdam. Mit Sockel misst der neue Achill elf Meter. Speerspitze und Helmzier waren vergoldet, leuchteten in der Sonne. Der Goldglanz ist verschwunden. Sisis Ruhm aber leuchtet weiter.
Übrigens wurde ihr Tod am 10. September 1898 im Genfer Hotel Beau Rivage festgestellt, dem gleichen Hotel, in dem 89 Jahre später, am 11. Oktober 1987 Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Uwe Barschel tot in der Badewanne aufgefunden wurde. Mord oder Selbstmord? Bei Uwe Barschel gilt das noch immer als Rätsel. Bei Kaiserin Elisabeth ist es keine Frage. Sie war in Genf inkognito als Gräfin Hohenemps abgestiegen, wollte eine
Dampfertour auf dem Genfer See unternehmen. Auf dem Weg zum Anleger lauerte ihr der italienische Anarchist Luigi Lucheni auf. Er hatte es ursprünglich auf einen Prinzen aus dem Hause Savoyen abgesehen, nicht auf die Kaiserin. Als eine Zeitung jedoch durchblicken ließ, hoher Besuch sei im Hotel Beau Rivage abgestiegen, änderte Lucheni seine Pläne.
Sisi fiel zu Boden, als ihr Mörder sie anrempelte. „Es ist nichts“, sagte sie zu ihrer Begleiterin. Erst an Bord wurde ihr schlecht, und da bemerkte man einen kleinen roten Fleck auf ihrer Bluse. Der Mörder hatte sie ins Herz getroffen. Sisi ist innerlich verblutet. Der Dampfer kehrte um. Sisi wurde ins Hotel gebracht, wo der Arzt nur ihren Tod feststellen konnte. „Die schwerste, die grausamste Prüfung hat mich und mein Haus heimgesucht. Die treue Gefährtin, die mir in schwersten Stunden meines Lebens Trost und Stütze war, ist nicht mehr“, ließ der Kaiser am nächsten Tag in den Zeitungen veröffentlichen. Der Mörder wurde festgenommen, verurteilt. Er erhängte sich zehn Jahre später im Gefängnis.
Kaiser Franz Joseph hat seine Sisi um 18 Jahre überlebt. Er starb 1916, mitten im zweiten Weltkrieg nach 68 Regierungsjahren, 86-jährig. Fans des europäischen Adels schließen inzwischen Wetten ab, ob eine heutige Elisabeth, nämlich die Queen in London, nur den Ehrgeiz haben könnte, Königin Victoria (64 Regierungsjahre) oder gar Kaiser Franz Joseph mit seinen 68 Dienstjahren zu toppen.
Text: Konrad Dittrich