Bei zwölf Filmen in vier Tagen kann man schon mal einnicken. Aber das ist gar nicht böse gemeint. Natürlich würde die Zeit auch für einen Kurztrip in eine der skandinavischen Metropolen reichen.
Aber erstens ist das Bier in Oslo oder Kopenhagen kaum erschwinglich und zudem bedeuten zwölf Filme auch gleichzeitig zwölf Reisen. Zur Robbenjagd ins Eismeer, mit der Metro durch einen heruntergekommenen Vorort Oslos, in die Staatsoper Dänemarks, die Einsamkeit des Fjells in Lappland oder zu einem bizarren Nachbarschaftsstreit um einen Baum im sonst so beschaulichen Reykiavik.
Und letztlich führt jede Reisen am Ende doch immer wieder zu uns selbst.
Ob es „das Entschwinden“ ist, dass mit dem diesjährigen Kirchenpreis bedacht wurde, dass uns unsere Vergänglichkeit vor Augen führt. Das Schmelzen des Eises begleitet die Protagonistin Roos bei ihrem letzten Gang in die Schneewüste.
Auch bei der Robbenjagd nimmt das Eis eine besondere Bedeutung ein. Mühelos springen die „Sealer“ von einer Eisscholle zur Nächsten. Das letzte Mal sticht die „Havsel“ in See, um auf Robbenjagd zu gehen. Obwohl die Blutspur der getöteten Robben sich wie ein roter Faden durch die Dokumentation zieht, entwickelt sich kein Hass gegenüber den norwegischen Robbenjägern. Im Gegenteil erwecken der Kapitän, der erste Matt und die Crew sogar große Sympathien.
Die Arbeit der Männer und Frauen ist eine ehrliche wenn auch brutale. Aber die Robben haben eine Chance. Von einer deutschen Kuh in einem hiesigen Schlachthof kann dieses sicherlich nicht behauptet werden.
Jedem Film der Nordischen Filmtage kann auf die Weise ein Stück Wahrheit abgerungen werden. Zum Glück entstehen so auf der Leinwand und unserer Seele Spuren und Risse, die ich auf Fotos bei Instagramm, der Filter sei Dank, vermisse.
Der einzige Preis, den der Zuschauer zu zahlen hat, sind viereckige Augen und die ein oder andere kurze Nacht. Aber Seeluft macht nun mal verdammt müde.
Stefan Tietjen
Bildquelle: http://www.luebeck.de/filmtage/de/programm/movie/view/2017/8660.html