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1 Prop.Drehorte/Lesungen/Theater:
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28. August 2024 – 275 Jahre Goethe Geburtstag
Rom – Casa di Goethe, Caffee Greco-Spanische Treppe, Villa Massimo, Cecilia Metella, Via Antica Appia
Neapel: Vesuv – Theater Napulitanata
Weimar – Goethes Gartenhaus, Theater im Gewölbe, Bienen-Museum
Eutin – Schloss, Jagdschlösschen Ukleisee, Gartenhaus – Cabaret
Hamburg – Streits Atelier
Oldenburg – Schloss – Stärke des Mannes – Idyllen mit Goethe-Versen
Zürich – Lavater-Museum
London – Lord Nelson – Vasensammlung
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Inhalt – Treatment
prop. Titel: der Treat – der Leckerbissen
Oder Die perfekte Welle
Oder Maler und Dichter – Symbiose zartbitter
Quelle Willi Brandt – Eva Tischbein, Weimar, Hamburg
© Uli P. Tischbein
Prop. Mehr Licht! Goethe und Tischbein – ein Feature
Der Anfang
„Mein Vater hatte in seinem Pulte eine Bibel, worin er den Tag und die Stunde geschrieben, wann ihm ein Söhnlein oder Töchterlein geboren war. Darin stand: 1751 den 15. Februar zwischen 4 und 5 Uhr morgens wurde mir ein Knäblein geboren, den nannte ich Johann Heinrich Wilhelm. Das bin ich!“
Dazu Goethe Geburt in Frankfurt – mit dem Glockenschlag 12…Uhr…
fast tot…
2 „Die fünfte Stunde morgens ist eine schöne Stunde, aus dem dunklen Schlaf in’s lebendige Licht zu treten. Es sind nun sechzig Jahre, dass ich auf der Welt bin; dreißig Jahre lang bin ich immer mit und von der Sonne aufgestanden, habe die Hälfte der Nächte geträumt; habe also doppelt so viel gelebt, als Einer, der nicht früh aufsteht und nicht lebhaft träumt.“
Dazu Goethes Jugend, Cornelia und Schlittschuh laufen
4 „Da begab es sich oft, dass ein Schieben und drängen unter uns entstand, weil jedes gern bei der Lieblingsblume sitzen wollte, eines bei der Nelke, das andere bei der Tulipane, der Narzisse, Lilie oder Aurikel. Mir gefiel vor allem die gefüllte große rote Mohnblume; wenn ich diesen Platz erringen konnte, schätzte ich mich glücklich.“
Dazu Goethes erste Gedichte
5 „Mich nannten sie den Maler, weil ich einmal an die Wand mit Kohle eine Zeichnung gemacht hatte: Hirsche und wilde Eber, wie sie vor dem Jäger zu Pferde und den Hunden laufen, diese aber sie verfolgen über Stock und Block, wie sie dann übereinander herfallen, sich wehren, einer den anderen verwunden und töten. Dies war bewundert, man beschloss, ich sollte ein Maler werden.“
Goethe beschloss: Ich war Jurist, oder doch Poet, Dichter…?
6 „In Hannover.
Dort begegnete er in literarischen Kreisen erstmals der wiederentdeckten Antike. Den Homer, der so entscheidend für sein späteres Leben werden solle, lernte der wissbegierige junge Mann in seiner Begeisterung auswendig. „Ich habe das Buch so lieb“, bekannte er 1782 in einem Brief an Goethe, „daß, wenn ich mich nicht der Sünde fürchtete, der Welt ein Exemplar zu rauben, so wollte ich, wenn ich sterbe, die Bitten, welche um mich sind, daß sie mir die Ilias auf die Stirn legen und die Odyssee auf die Brust. Solange ich lebe, führe ich ihn bei mir, wie ein Wanderer Brot in der Tasche“.
Goethe und die Leiden des jungen Werther…Gelobt, verboten
7 „Tischbein wanderte nach Berlin. Dort wurde der Maler so reichlich mit Aufträgen bedacht, dass er seinen jüngeren Bruder Heinrich Jacob als Gehilfen nachkommen lassen musste. Finanzielle Sorgen kannte er nicht mehr; immerhin konnte er sich ein englisches Reitpferd leisten. Zustatten kam ihm, dass er ein ausgesprochener Schnellmaler war. Seine Sitzung dauert nur drei viertel Stunden, so dass er es auf 3 Porträts am Tag gebracht haben soll. Aber diese eintönige, wenn noch lukrative Tätigkeit füllte den unsteten Künstler nicht aus. Er strebte nach höherem, und das war für ihn schon von Jugend an die Historienmalerei. Die „gepuderten Haare und die geschminkten Wangen waren ihm zuwider“.
Goethe. Sturm und Drang…
8 „Und so ging am 13. August 1882 ein Brief an Goethe ab: „Sie, edler Mann, bedauern mich wegen meines Schicksals… Das habe ich aus einem Brief gesehen, den Herr Merck an mich gerichtet hat… Finden Sie etwas in der Arbeit (er hatte einige Zeichnungen mitgeschickt) und glauben mich tauglich, dass ich mit der Zeit noch ein Maler werden könne, so helfen sie mir zu der Gelegenheit, dass ich noch einige Zeit studieren kann..“. Und er fügte hinzu: „Ob ich frei von Cassel sei? Ganz frei. Denn alle Dienste, die in meinem Vermögen sind, habe ich angeboten, und doch wollten Sie mich nicht haben….“
Am Weimarer Hofe gab es jedoch keine Möglichkeit, begabte Künstler durch Stipendien zu fördern, und so wandte sich Goethe am 22. April an Herzog Ernst II. zu Sachsen-Gotha und Altenburg. Er legte Tischbeins Brief in Abschrift bei, stellte ihm das beste Zeugnis aus und deutete auch mögliche Zukunftsperspektiven an: „…Ich bin versichert, dass auf diesem Eckstein, den die Bauleute verworfen haben, Ew. Durchl. eine wohlbegründete Schule aufrichten werden….“ Die Empfehlung war von Erfolg gekrönt. Der Herzog bewilligte dem Künstler die Mittel für seine Reise nach Rom und setzte ihm ein jährliches Gehalt von 200 Scudi aus.
Erste Tuchfühlung Goethe und Tischbein
9 In Zürich suchte er Hilfe bei dem Pfarrer Johann Kaspar Lavater, dem einzigen Menschen, den er den Namen nach kannte. Dieser genoss als hilfsbereiter Menschenfreund weit über die Grenzen des Landes hinaus einen legendären Ruf. Bereitwilligst nahm er den mittellosen Maler auf, kam er ihm doch als Helfer bei seinem physiognomischen Studien gerade recht. Wieder wurde Wilhelm Tischbein mit Portraitaufträgen überhäuft, und wieder musste er seinen Bruder als Gehilfen herbeirufen. Obwohl er eine so herzliche Aufnahme und rechtliche Arbeit gefunden hatte, war er doch mit seinem Los nicht zufrieden. Noch immer sah er die Historienmalerei als höchstes Ziel an, und auch die romantische Liebe zur deutschen dichter Geschichte ergriff in jener Zeit von ihm besitzt.
Lavater, Goethe und Tischbein – Schicksal schlägt zu
10 Die Beurteilung dieses uns heute nicht mehr sonderlich ansprechenden Bildes war im allgemeinen Recht positiv, teilweise sogar enthusiastisch. Goethes Urteil war eher zurückhaltend; in einem Brief an den Herzog sagte er diesem „ins Ohr“: „Hätte er die Reize des weiblichen Körpers – Brust berühren – mit Leib und Seele genossen, gewiss, seine Gemälde würden mehr leben und Wollust athmen, und er würde keine rätselhaften Zwitter produciren“. Er empfahl Herzog Ernst, dem Maler eine kleine Summe Geldes („mit 20 Carolins glaubt er weit zu reichen“) zukommen zu lassen, damit er nach lebenden Modellen malen könne. Erst sehr spät, im September 1786, erhielt Tischbein von seinem Mäzen ein überaus freundliches Schreiben, in welchem er das Werk über die Maßen lobte und das in der Feststellung gipfelte, das Bild könne erst mit den besten der jetzt lebenden Künstler aufnehmen.
Goethe spürt die Kunst
11 Nach einer achtwöchigen, erlebnisreichen Reise, am 29. Oktober, erreichte Goethe das Ziel seiner Sehnsucht, die ewige Stadt. In der noch jetzt bestehenden Albergo dell Orso stieg er ab und schickte nach Tischbein, dem einzigen Menschen in Rom, den er – wenn auch nicht persönlich – kannte. Die erste Begegnung der beiden Männer schilderte Tischbein 1821 in einem Brief an Goethe: „Sie saßen in einem grünen Rock am Kamin, gingen mir entgegen und sagten: ich bin Goethe! Und ich erkannte im Augenblick den Mann, der das Wellen Getöse des menschlichen Gemüts in seiner Tiefe kennt“.
Goethe am Ziel seiner Sehnsucht
12 Am nächsten Tag. Zog Goethe zu Tischbein, der mit einigen deutschen Malern zusammen wohnte. Dieser schrieb später an Lavater.: „War mir noch sehr an Ihm (Goethe) freut ist sein einfaches Leben. Er begehrte von mir ein kleines Stüpgen, wo er in Schaffen und ungehindert in arbeiten könnte. Und in ein ganz einfaches Essen, dass ich ihm den leicht verschaffen konnte, weil er mir so wenig begnügt ist“.
13 Goethe wollte zunächst unerkannt bleiben, und so ließ er bei dem Pfarrer, der die Wohnlisten des Bezirks führte, eintragen: Filippo Miller, tedesco, pittore, 32.
15 Goethe fand in seinem Tagebuch und in seinen Briefen Worte höchste Anerkennung für seinen neuen Freund.
„Tischbein lebte so lange hier als mein. Herzlicher Freund, er lebte hier mit dem Wunsch mir Rom zu zeigen; unser Verhältnis ist alt durch Brief, neu durch Gegenwart; wo, hätte mir ein werterer Führer erscheinen können!“
„Dass ich mit Tischbein schon so lange durch Briefe in dem besten Verhältnis stehe, macht unser Zusammentreffen sogleich fruchtbar und erfreulich. Er hatte immer an mich gedacht und für mich gesorgt.“
„Tischbeins Talente sowie seine Vorsätze und Kunstabsichten lerne ich nun immer mehr kennen und schätzen.“
„Von Tischbein muss ich noch vieles erzählen und rühmen, wie ganz original Deutsch er sich aus sich selbst heraus bildete.“
„Tischbeins Liebe und Vorsorge erleichtert und befördert mir alles. Es ist ein gar guter und kluger Mensch.“
16 „Wie wohl es mir übrigens bei und mit Tischbein geht, und was für ein braver Künstler und tüchtiger, ganzer Mensch ist, kann ich Dir nicht sagen. Wir passen zusammen, als hätten wir zusammen gelebt.“ – „…er ist unentbehrlich. So einen reinen, guten und doch so kluge, ausgebildeten Menschen habe ich kaum gesehen… In seinem Umgang belebe ich mich auf’s Neue. Es ist eine Lust, sich mit ihm über alle Gegenstände zu unterhalten, Natur und Kunst mit ihm zu betrachten und zu genießen“.
17 Die Zuneigung war keineswegs einseitig. Auch Tischbein hatte von seinem berühmten Gast aus Weimar eine ebenso hohe Meinung. In einem Brief an Lavater lesen wir: „Sie haben in allem recht, was sie von Goethe sagten. Das ist gewiss einer der Vortrefligsten Menschen, die man sehen kann… jez wohnet er in meiner Stub neben mir, ich genüße also von des Morgens bis zur Nacht den Umgang dieses so seldenen, Klugen Mannes, was das nun für ein Vergnügen für mich ist, könen Sie sich leicht denken, in dem Sie Goethes Werck und meine Hochachtung gegen große Männer kennen… Goethe ist ein Werckliger Mann, wie ich in meinen umschweifeden Gedancken, ihn zu sehen mir wünschte… Nur die grose Gesetztheit und Ruhe hätte ich mir in den lebhafften emofinden nicht dencken könen, und das er sich in allen Fällen so bekandt uns zu Hause findet“.
18 Fast vier Monate lebte nun der Weimarische Geheimrat und schon berühmts Dichter in deutschen Boheme, die ihr Standquartier im Café Greco in der Via Condots hatte.
Sein Ikognito konnte er jedoch nicht lange bewahren, trotzdem setzte er unbeirrt seinen, selbstgewahiten unkonventionellen Lebensstil fort. Täglich war er mit Tischbein unterwegs. Der kannte sich in Rom und seiner Umgebung sehr gut aus und war dem kunstbeflissenen
‘Dichter ein vortrefflicher Cicerone. Wie der Tagesablauf aussah, erfahren wir aus einem Brief Tischbeins: „Da sizet er nun jezo und arbeitet des Morges an seiner Efigenia (Iphigenie) ferdig zu machen, bis 9 Uhr, den gehet er aus und sieht die grosen hiesigen Kunstwercke”
19 Die schönste Frucht der Begegnung Tischbeins mit Goethe ist zweifellos das 164 x 206 cm große Gemälde „Goethe in der Campagna bei Rom”. Anfang Dezember 1786 schrieb der Maler an Lavater: “Ich habe sein Porträt angefangen und werde es in Lebensgröse machen, wie er auf denen Ruinen sizet und über das Schicksal des Menschligen Wercke nachdencket… Sein Gesicht will ich recht genau und wahr nach zeichnen”. Und Goethe teilte dem Herzog Carl August im Februar 1787 mit „Tischbein malt mich in Lebensgröße im weißen Mantel, auf Ruinen sitzend. Es gibt ein glückliches Bild… da die Idee glücklich ist.
20 Am 22. Februar 1787 begaben sich Goethe und Tischbein auf die Reise nach Neapel. Der Dichter war glücklich, dass ihn sein Freund, „der so einen herrlichen Blick im Malen und der Kunst hat“ begleitete. „Ich nehme Tischbein mit“, schrieb er, „weil ich…ihn ??? (unscharf in der Fotografie) Gesellschaft dreifach habe. Nicht weit von Rom kam es zu einem Zwischenfall, wie sich Tischbein 1821 seinen damaligen Begleiter erinnerte: „Oft bebt es noch durch alle meine Glieder. Wir stiegen aus und standen vor einem Abhang Erde und bestarrten die verschiedenen Erdschichten…Sie waren eben etwas zurück getreten und ich stand, um noch einige Kieskörner herauszupicken, als plötzlich ein schwerer Wagen, mit Ochsen bespannt, den dieses auf dem schrägen Berge nicht halten konnten, herunterrannte und zwischen uns durchlief… Denke ich daran, welcher in welcher Gefahr Sie damals schwebten, so läuft mir noch jedesmal ein Schauer durch alle Glieder“. Und in seinen Lebenserinnerungen lasen wir: „Ich, der Begleiter und Schützer von Goethe, hatte mir vorgesetzt, ihn zu hüten, wie eine Mutter ihren Säugling, dieses Kleinod für die Welt, dessen lieben Freund, und nun wäre er fast eine Minute gerädert worden und ich mit ihm“.
Vier Tage dauerte die Fahrt. In Neapel war Tischbein wieder Goethes zuverlässiger Führer, er öffnete ihm die Türen zu der Gesellschaft der königlichen Residenzstadt und zu deren Künslerwerkstätten. Sie besuchten Herkulanum und Pompeji, und auch den Vesuv bestiegen sie am 6. März gemeinsam.
21 Nun wollte Goethe auch noch Sizilien kennenlernen, und Tischbein sollte ihn dabei begleiten, aber der lehnte ab. Noch zeigte Goethe Verständnis: „(Es) begab sich, dass seine Kunstwerke sowohl als diejenigen Geschäfte, die er, eine künftige Anstellung in Neapel hoffend, in der Stadt und bei Hofe zu betreiben pflichtig ist“, so vermerkte er in seinem Tagebuch, „mit meinen Absichten, Wünschen und Liebhabereien nicht zu verbinden seien.“
Er fand aber – durch Tischbeins Vermittlung – in dem Landschaftsmaler Kniep aus Hildesheim einen tüchtigen, doch wie er wohl meinte, nicht gleichwertigen Ersatz. Am 21. März reiste Goethe mit dem Schiff ab und als er am 14. Mai nach Neapel zurückkehrte, war Tischbein bereits in Rom.
Auch Goethe begab sich dorthin und traf am 6. Juni ein. Er bezog zwar wieder seine alte Wohnung bei Tischbein, aber diese hatte nicht mehr viel Zeit für ihn. Im Juli reiste Tischbein erneut nach Neapel, angeblich nur für kurze Zeit, aber er verschob ständig seine Rückkehr und teilte Goethe schließlich im April mit, er werde in Neapel bleiben. Goethe traf seine Heimreise nach Weimar an, wo am 18. Juni eintraf.
22 Das unentschlossene Verhalten Tischbeins, bedingt durch seine Bemühungen um die Direktorenstelle an der Malerakademie in Neapel, rief bei Goethe Verstimmung hervor. Er glaubte, bei Tischbein Charakterzüge zu entdecken, die er vorher nicht wahrgenommen hatte. Der hohe Staatsbeamte, der sich selbst beurlaubt hatte, erfreute sich trotz seiner Eigenmächtigkeiten eines guten und regelmäßigen Einkommens und konnte deshalb wohl nicht begreifen, dass ein Maler ohne feste Anstellung ständig auf der Suche nach einer sicheren Existenz sein musste. Und so bekam die alte Freundschaft einen Riss. Gelegentlich machte Goethe seiner Verärgerung Luft, doch davon erfuhr Tischebein nichts. „Tischbein ist sehr brav“, so schrieb er am 27. Juni, „doch fürchte ich, er wird nie einen solchen Zustand kommen, in welchem er mit Freude und Freiheit arbeiten kann. Mündlich mehr von diesem auch wunderbaren Menschen“.
23 In einem Brief vom 2. Oktober heißt es: „Ihr glaubt nicht, wie nützlich, aber auch wie schwer es mir war, dieses ganze Jahr absolut unter fremden Menschen zu leben, besonders da Tischbein – dies sei unter uns gesagt – nicht so einschlug, wie ich hoffte. Er ist wirklich ein guter Mensch, aber er ist nicht so rein, so natürlich, so offen wie seine Briefe. Seinen Charakter kann nicht nur mündlich schildern, um ihm nicht unrechtlich zu tun… Das Leben eines Menschen ist sein Charakter”
24 Kurz vor seiner Abreise nach Deutschland vermerkte Goethe: „Tischbein verweilt noch immer in Neapel, ober schon seine Zurückkunft im
Frühjahr wiederholt angekündigt hatte. Es war sonst mit ihm gut leben, nur ein gewisser Tik ward auf die Länge beschwerlich. Er ließ nämlich alles, was er zu tun vorhatte, in einer Art Unbestimmtheit, wodurch er oft ohne eigentlich bösen Willen andere zu Schaden und Unlust brachte”.
25 Sicher hätte der Maler, wie so mancher seiner Kollegen, seinen Lebensweg im Fernen Italien beendet, wäre nicht Neapel am 23.Januar 1799 von französischen Revolutionsgruppen erobert worden. Beinahe wäre Tischbein dabei ums Leben gekommen. Nur die Tatsache, dass er als Deutscher erkannt wurde, rette ihn vor dem Erschießen. Zwei Monate später verließ er die Stadt, reiste auf dem Seeweg nach Livorno und dann zu Lande weiter und traf am 20. Juni nach 2ß Jähriger Abwesenheit in Kassel ein.
Nun begannen seine Irrfahrten aufs Neue. Zunächst blieb er eine Zeitlang in Kassel, ging dann aber nach Hannover und ließ sich schließlich in Hamburg nieder.
In seiner Begleitung befand sich die fast 2 Jahre jüngere Anna Martha Ketting aus Haina, die er „von einigen befreundeten Senatoren überredet“, am 28. Juni 1806 in seinem „Logis“ im „Römischen Kaiser“ (heute Streits-Kino) am Jungfernstieg heiratete. Aus der Ehe gingen fünf Töchter und ein Sohn hervor.
26 Am 9. Oktober 1805 übermittelte er Goethe in einem Brief seine Erläuterung und Gedanken zu den übersandten Zeichnungen und ließ, als dieser nicht sogleich reagierte, ein zweites Schreiben folgen. Im Februar 1806 ging endlich ein herzlich gehaltenes Antwortschreiben Goethes ein: „…es ist höchst erfreulich zu empfinden, dass frühere gute Verhältnisse durch Zeit und Entfernung nicht leiden, ja sich eher durch fortdauernde Mitteilung verbessern…“
Von der seinerzeitigen Verärgerung war nichts mehr zu spüren, und so gingen dann mehrere Briefe Tischbeins mit Skizzen und Zeichnungen nach Weimar. Goethes Antwort ließ auf sich warten, traf aber im Mai dann doch ein und war wieder recht wohlwollend; sogar vier Gedichte waren beigelegt.
27 An Tischbein
Erst ein Deutscher. dann ein Schweizer.
Dann er Berg- und Tal-Durchkreuzer.
Römer dann, dann Neapolitaner.
Philosoph und doch kein Ahner.
Dichter, fruchtbar aller Orten.
Bald mit Zeichen, bald mit Worten.
Immer bleibest Du derselbe
von der Tiber bis zu Elbe!
Glück und Heil! so wie Du strebest
Leben! so wie Du belebtest
So genieße! laß genießen!
Bis die Nymphen Dich begrüßen,
Dich sich in der Ilme baden
Und aufs freundlichste Dich laden.
28 Vier Jahre wartete jedoch Tischbein vergebens darauf.
Aber er ließ nicht locker. Am I. März 1821 sandte er erneut einen Brief nach Weimar, in welchem er auch Andeutungen machte über seine 44 Idyllenbider, die er für seiner Herzog gemalt hatte und die seit einem Jahr im Oldenburser Schloß hingen. Diese Mitteilung zündete bei Goethe. Umgehend, am 21. April, antwortete er. bedankte sich für die Sendung des „teuersten alten Freundes” und bat sich die Idyllenbilder zum Studium.
Zwar konnte Tischbein die Originale nicht mehr verschicken, aber nach einem in römischen Erinnerungen schwelgenden Briefes vom 4. Mai, dem eine eigene Dichtung beigefügt war, folgte alsbald eine große Sendung mit 17 schwach kolorierten Zeichnungen nach den Idyllen, die Goethe „nächstens“ mit Beschreibungen und Versen zu versehen versprach. Diesmal hielt er Wort. Zu 15 Idyllenbildern verfaßte er Strophen und einen erklärenden Text, die zu Beginn des Jahres 1822 auch in der Zeitschrift „Über Kunst und Altertum“ – allerdings ohne Abbildungen – abgedruckt wurden. Sie wurden mit einem kleinen Gedichtchen eingeleitet, das hier wiedergegeben sein soll.
Wie seit seinen Jünglingsjahren
Unser Tischbein sich ergehet,
Wie er Berg und Thal befahren
Stets an rechter Stelle steht:
Was er sieht, weiß mitzuteilen.
Was er dichtet ebenfalls;
Faunen bringt er auch zuweilen,
Frauen doch auf allen Zeilen
Des poetisch-plastischen Alls:
Also war es an der Tiber,
Wo dergleichen wir geübt.
Und noch wirkt dieselbe Fiber
Freund dem Freunde gleich geliebt.
29 Tischbein war über die erste Erfüllung eines schon seit den römischen Tagen sehnlichst gehegten Wunsches, mit dem Dichter zusammen gemeinsame Werke zu schaffen, auf‘s höchste erfreut, und unternahm im Überschwang seiner Gefühle sogleich den Versuch, die begonnene Zusammenarbeit fortzusetzen. Aber Goethe reagierte zunächst gar nicht und schrieb ihm erst im Dezember 1821, ohne jedoch auf Tischbeins Wünsche einzugehen. Er bat den Maler um eine etwas genauere Zeichnung seines Porträts „Im weißen Mantel, auf dem Obelisk ausgestreckt“, das er ja nicht vollendet gesehen hatte, für seine Sammlung „Tischbeiniana“, und er schloß seinen Brief: „Mit den treulichsten Wünschen und den schönsten Grüße an die Ihrigen empfehle mich zu fortdauerndem freundschaftlichen Andenken – treulichst J. W. v. Goethe“.
30 Schon am 7. Januar 1822 antwortete Tischbein. Er konnte jedoch wegen eines Augenleidens den Brief nicht selber schreiben, unterzeichnete aber eigenhändig: „Ewiger treuer Freund W. Tischbein“. Vergebens wartete er auf Goethes Antwort – sie traf niemals ein. Stattdessen wurden im Vergleich scherzhaft gemeinte, aber doch recht unfreundliche Bemerkungen Goethes über seinen Wunsch nach dichterischen Kommentaren zu seinen Zeichnungen zugetragen. Man wolle wohl, so soll Goethe gesagt haben, das Kind mit dem Bade ersäufen oder an Leckereien sich satt essen. Wie müssen diese unüberlegten Äußerungen Goethes auf den Mann gewirkt haben, für den der Dichter geradezu ein Idol gewesen war? Für ihn muss eine Welt zusammengebrochen sein. Seine Reaktion war gereizt, aber durchaus selbstbewusst. Goethes Verse seien zwar Leckereien, an denen man sich jedoch nicht sättigen könne, aber man werde auch den Ananasgeschmack fühlen, der in seinen Idyllenbildern läge; er sei ein Dichter, den man jedes Geschriebene mit Gold bezahle.
31 Noch wollte es Tischbein nicht wahrhaben, dass der Bruch endgültig sein könne; denn die Briefe, Goethes, wenn sie auch nur zögernd eintrafen, sprachen eine ganz andere Sprache. Er wandte sich daher an den Maler Meyer, den „Kunscht Meyer“, den er noch von Rom her kannte und der Goethes ständiger Begleiter und Berater in Kunstdingen war, um den Grund für das seltsame Verhalten des Dichters zu erfahren. Dieser informierte Goethe, doch die Antwort, die er erhielt, war von einer geradezu unverständlichen Arroganz gekennzeichnet: „Hätten wir uns mit ihm verbrüdern können, so wäre es vor 35 Jahren geschehen. Noch immer aber, wie man ihm sich nähere, scheucht er einen zurück; tut man ihm was zuliebe, so soll man gleich den ganzen Komplex seiner Eigenarten gelten lassen“. Es ist nicht bekannt, was Meyer an Tischbein geschrieben hat, sicher aber ist, dass der Bruch nun endgültig nicht mehr zu reparieren war
32 Tischbein, der nun schon die 70 überschritten hatte, wurde kränklich. Seine Schaffenskraft liest nach, es wurde einsam um ihn.
„Ich fühle mit Betrübnis, so schrieb er, das meine Gedanken stumpf werden. An diesem stille Orte, wo man Zeit hat nachzudenken, da fällt einem viel ein, wobei es besser wäre, gestört zu werden, um nicht zu denken“. Und so nahm er am 26. Juni 1829, vor 150 Jahren, von dieser Erde Abschied für immer.
Auf dem Friedhof von Eutin fand er seine letzte Ruhe und neben ihm seine Frau, die dreieinhalb Jahre später das Zeitliche segnete.
33 Kaum hatte Wilhelm Tischbein die Augen geschlossen, da brachte Goethe den 3. Teil seiner „Italienischen Reise“, den „Zweiten Römischen Aufenthalt“ heraus. Darin nahm er auch die in seinen Tagebüchern und Briefen geäußerten nachteiligen Bemerkungen über Tischbein auf. Die Familie und die Freunde des Malers waren empört. Der „Advocat und Cammer-Consulent“ Martens, der Ehemann seiner ältesten Tochter Wilhelmine, richtete am 12. Oktober 1830 ein Schreiben an Goethe, in dem es unter anderem hieß: „…haben Ew. Excellenz nicht unterlassen, jede vertraulichen Mitteilungen an Ihre Freunde öffentlich in Druck zu geben…Ihre einzige Satisfaction soll sein, dass sie einen freundschaftlichen Brief, den Ew. Excellenz im Jahre 1821 an den verstorbenen Tischbein geschrieben und worunter von Ihrer Hand geschrieben steht „Treulichst Goethe“ abdrucken lassen und dem Publico dabei sagen, was man von Ihrer Tresagen hat. Ihrem alten Freunde, dem Vorangegangenen, werden Sie bald begegnen. Er ist Ihnen treu geblieben und hat bis zum Ende Ihr Andenken in Ehren gehalten. Er trauet noch Ihrer Treue-Versicherung. Wo werden Sie das Angesicht hinwenden, wenn Sie ihm begegnen?“… Der Brief hat seinen Adressaten nie erreicht, aber auch er wurde bald vom irdischen Schauplatz abberufen.
34 Das Verhalten Goethes gegenüber Tischbein ist in der Tat unverständlich. Gewiß, die Temperamente der beiden fast gleichaltrigen Männer waren sehr unterschiedlich, ebenso ihre Lebensbedingungen. Auf der einen Seite der aus einfachen Verhältnissen stammende, vom Wohlverhalten
anderer abhängige und stets um seine Existenz kämpfende Maler, auf der anderen Seite der Sohn aus reichem Hause, unabhängig und mit gesichertem Einkommen, der sich alle Extravaganzen leisten
konnte.
Kunstexperten Prof. Hermann Mildenberger, Weimar und Dr. Hinrich Sieveking, München