Besuch im Otto-Modersohn-Museum in Fischerhude
In Schrittgeschwindigkeit umkurve ich die Sonntagsspaziergänger wie Slalomstangen. Links und rechts der Straße reiht sich Gehöft an Gehöft. Die Allee ist mit Eichen bestückt, die den Blick auf satte Weiden und Felder etwas verdecken. Aber der erste Eindruck täuscht nicht; es ist ländlich. Alles andere wäre bei dem Namen Fischerhude auch eine große Enttäuschung gewesen.
Das an der Wümme gelegene Künstlerdorf zwischen Hamburg und Bremen kann als Inbegriff von Idylle bezeichnet werden.
Am Ende der Straße erreiche ich endlich das Ziel meiner Reise: Das Otto Modersohn Museum.
Tief fliegende Schwalben und leuchtende Wicken am Wegesrand geleiten mich die letzten Meter zu einem schmucken Bauernhof, der den Arbeiten des Landschaftsmalers und Ehemanns von Paula Modersohn-Becker einen angemessenen Rahmen gibt. War die Landluft Fischerhudes selber schon eine Verheißung von Ruhe und Entschleunigung, so ist das Museum ein Abbild eben dieser beschaulichen Kulisse im Kleinen.
Die Bilder Modersohns führen den Besucher in eine Welt der Landschaften. Ob Ölgemälde oder Zeichnungen, gemein ist allen, dass sie mit wenig Kultur aber viel Natur auskommen.
In Modersohns Bildern finden sich die Utopie unserer globalisierten Welt. Die Sehnsucht nach einer Welt, deren Ruhe nicht pausenlos durch die im Minutentakt eintreffenden SMS und WhatsApp-Nachrichten erschüttert wird. Keine Nachrichten über Trump, Brexit oder Erdogan, die sich ihren Weg bahnen können. Die Moore, Wolken und landschaftlichen Weiten des Malers verdichten sich zu einer Barriere, die alles, was uns als wichtig suggeriert wird, an ihr abprallen lässt . Ob es die „Badenden Kinder am Fluss“ sind, oder der „Herbst im Moor“, Modersohn zeigt das Alltägliche, das Selbstverständliche seiner Zeit, aber das Vergessene unserer Zeit.
Der Maler lebte noch in einer Welt von Dorfschönheiten. Eine Tagesreise endete damals am Horizont und nicht auf Mallorca oder in Paris.
Jedes Motiv lässt das 21. Jahrhundert mit all seinen Auswüchsen wie der Globalisierung, dem Onlinehandel oder Lieferando in Vergessenheit geraten.
Die Ausstellung in unmittelbarer Nachbarschaft zu Moor und Ackerland scheint tiefe Wurzeln geschlagen zu haben. Der Besucher kommt endlich an und verlässt das Museum nur schweren Herzens und auch nur deshalb, weil es um 18 Uhr schließt.
Ein paar Postkarten und ein Poster dürfen es aber noch sein. Wenigstens ein bisschen Fischerhude-Magie einfangen und daheim konservieren.
Ich bin etwas betroffen, als ich feststelle, dass ich überhaupt kein Bargeld mehr habe und frage, ob ich mit Karte bezahlen könne. Die ältere Dame an der Rezeption holt nur widerwillig das EC-Lesegerät heraus. Ich muss gestehen, es wirkt auch wie ein Fremdkörper inmitten dieser Welt aus Heuhaufen und Holzkähnen auf der Wümme.
Stefan Tietjen
Informationen zum Modersohn-Museum unter http://www.modersohn-museum.de/start.html