“Hier möchte ich Kunde sein”

Deutscher Buchhandlungspreis 2016 verliehen5. Oktober 2016
“Man spürt sofort: Hier möchte ich Kunde sein!”

Großer Bahnhof in Heidelberg: Mehr als 100 Buchhändler, teils mit ihren Teams, waren am Mittwochabend ins Theater zur Verleihung des Deutschen Buchhandlungspreises gekommen. “Ihre kulturelle Vermittlung ist wichtiger denn je, weshalb unsere 850.000 Euro auch eine Anerkennung für den Mut ist, sich hier zu behaupten”, sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters.

Die Kunden halten die Stellung …
Fünf besonders herausragende Buchhandlungen
Beste Buchhandlungen 2016

Neben den zehn undotierten Gütesiegeln für Buchhandlungen mit einem Jahresumsatz von mehr als einer Million Euro wurden 100 Sortimente mit einem Jahresumsatz unter einer Million als “hervorragende Buchhandlungen” mit einem Preisgeld von je 7.000 Euro ausgezeichnet – ein großartiges Bild mit so vielen engagierten Sortimentern auf der Bühne des Heidelberger Theaters. Viele kennen sich ja, und so war es auch kein stilles Miteinander, denn die Buchhändler taten das, was sie schon Berufs wegen wunderbar können: Sie kommunizierten miteinander, ein großes Hallo, “fast wie in einem Ferienlager”, wie Moderator Knut Elstermann von MDR Kultur anmerkte.

Munter tauschten sich die Buchhändler über ihre Pläne und Projekte, eine gute Gelegenheit, sich für den eigenen Laden etwas “abzuschauen”. Deutlich wurde auch, dass die Preisgelder letztlich wieder für den Kunden investiert werden, egal ob es um tolle Veranstaltungen, bessere Beleuchtung oder Umbaumaßnahmen mit Wohlfühlatmosphäre geht. Philipp Seehausen von Unsere Buchhandlung am Paulusplatz in Bonn hatte schon eine ganz konkrete Vorstellung, die er im Video verrät.
Zuhause hielten Kunden die Stellung

Aus allen Ecken Deutschlands waren sie angereist, und einige Inhaber hatten gleich ihr gesamtes Mitarbeiterteam mitgenommen. Buchhändlerin Anne v. Bestenbostel hatte sich mit ihren Sortimenterinnen von Nordenham kurz hinter der Nordseeküste aus auf den Weg gemacht, währenddessen treue Kunden die Stellung in ihrer Buchhandlung hielten und andere Kunden bedienten.

Auch Daniela und Ulrich Dombrowsky in Regensburg hatten ihre Kunden gefragt, ob sie sie und ihre Mitarbeiterinnen an diesem besonderen Tag vertreten könnten. Unter den Helfern kam zwischen 10 und 12 Uhr sogar Bürgermeister Jürgen Huber zum Einsatz, auch Objekt-Künstlerin Pauline Adler empfahl ab 16 Uhr; allesamt angeleitet durch Tochter Svenja Dombrowsky, die im Laden ab und an als Aushilfe arbeitet.
Fünf besonders herausragende Buchhandlungen

Schriftstellerin Jenny Erpenbeck entführte als Jurorin noch einmal in die Welt des Lesens: “Ein Mensch, der liest, lässt sich auf andere ein. Wie die Liebe kennt das Lesen keine Grenzen, kennt auch keine Zeit, erzeugt eine Art Ewigkeit, in der Leser wie Autoren zu Hause sind. Wir sind für Seite um Seite, die wir umblättern, dankbar.” Es sei mutig, unabhängige Buchhandlungen zu betreiben. “Aber das Geschäft des Bücherverkaufens hat damit zu tun, andere in einen Raum eintreten zu lassen, der einem auch selbst gefallen hat – es ist ein Akt der Gastfreundlichkeit.”

Die besonders herausragenden Buchhandlungen 2016 sind:

die Buchhandlung MaKULaTUR in Lübeck, die regelmäßig Veranstaltungen macht, die auch in einem eigens gegründeten Kanal namens Wolkenkuckucksheim.tv zu sehen sind – ein Schleswig-Holsteiner Leuchtturm, so die Meinung der Jury.
die Buchhandlung Bindernagel in Butzbach, die pro Monat fünf Veranstaltungen in den eigenen Räumen macht, Kinderleseclubs und Veranstaltungen für Flüchtlingskinder – es sei kaum vorstellbar, dass irgendjemand in und um Butzbach nicht liest, vermutete Erpenbeck.

die Connewitzer Verlagsbuchhandlung als Institution in Leipzig, die auch als Verlag junge und unbekannte Schriftsteller entdeckt. Sie ist eine Buchhandlung, die sich mit literarischen Zirkeln und Veranstaltungen gesellschaftspolitisch positioniert.
die Buchhandlung Mahr in Langenau organisiert Buchvorstellungen mit Verkauf auf Zuruf, bietet hochkarätige Lesungen an, eigene anregenden Texten führen in Themenschwerpunkte ein und reflektieren die Literatur.
die Buchhandlung Klaus Bittner in Köln, in der Inhaber Klaus Bittner einen persönlichen Raum zum Gespräch auf hohem Niveau bietet. In seinem Laden ist auch Lyrik stark vertreten; er engagiert sich in Kooperationen für eine Kultur des Bücherverkaufens, ist mit Schulen, Archiven, Institutionen und Literaturfestivals verbunden.

Die Dotierung beträgt jeweils 15.000 Euro.

Thomas Mahr (Buchhandlung Mahr), Klaus Bittner (Bittner, Köln), Peter Hinke (Connewitzer), Ministerin Grütters, Regina Giese (Makulatur), Georg Neundorfer (Bindernagel), Laudatorin Jenny Erpenbeck, Knut Elstermann (von links) © pg

Juryvorsitzende Iris Radisch gab Einblicke in die Arbeit der Jury und ihre Fragestellungen: „Welches Angebot hat eine Buchhandlung, führt sie Bücher von unabhängigen Verlagen, hat sie Ideen, Digital Natives an Bücher heranzuführen? Was bietet sie den Lesehungrigen außer dem Buchangebot an, was empfiehlt sie, wie berät sie? Wie geht die Buchhandlung mit den Bedingungen ihres Standorts um – kann man eine Buchhandlung auf dem Land überhaupt mit einer in der Autorenhochburg Prenzlauer Berg vergleichen?“.

Als beste Buchhandlungen 2016 ausgezeichnet wurden:

die Friedrich-Wagner Buchhandlung in Ueckermünde, wo nicht nur der Aufmunterung suchende Badegast seine Bücher findet, sondern alle Einheimischen literarische Lesungen, Konzerte, es ist fast ein kleines Literaturhaus.

die Kinderbuchhandlung Nimmerland in Mainz, die einzige auf Kinder- und Jugendliteratur spezialisierte Buchhandlung in Rheinland-Pfalz, eine „Leseschule“ für den Nachwuchs, wo die Lust und die Freude am Lesen vermittelt wird – von hier kommen die Leser von morgen, so Radisch.

die Buchhandlung Böttger in Bonn, wo man sich wie in einer anderen Welt fühlt, wo man geistig angeregt, angenehm überfordert und überrascht wird in seinem Alltag, ein wohlgeordnetes kreatives Chaos von Lyrik über Philosophen bis zu Autorennamen, die sonst selten zu finden sind.

Holger Brandstädt (F. Wagner-Buchhandlung), Susanne Lux (Nimmerland), Minsterin Monika Grütters, Alfred Böttger (Buchhandlung Böttger, Bonn; von links) © Claus Setzer

“Jede dieser Buchhandlungen ist ein Unikum, keine mit dem anderen vereichbar, aber man spürt sofort: Hier möchte ich Kunde sein!”, schwärmte Radisch. Die Dotierung beträgt jeweils 25.000 Euro.

“Wer noch liest, rebelliert”

Zuvor hatte der Hausherr an die Gemeinsamkeiten von Buch und Brot erinnert. Spätestens seit den 1980er Jahren seien Theater und Bücher totgesagt, aber sie überzeugten unvermindert bis heute – “Totgesagte leben länger”, sagte Intendant Holger Schultze, dessen Mutter Buchhändlerin in der Berliner Bücherstube Marga Schoeller war. Er machte sich für die Bücher stark: “Wir brauchen das Vertrauen in die Kultur.” Als Buchhändlerin hat auch Monika Grütters bei Bouvier und Gonski gearbeitet, “ich habe auch die Buchmessen erlebt und erlitten”, meinte die Kulturstaatsministerin.

“Ich bin unserer Jury extrem dankbar, die komplett unabhängig arbeitet”, sagte Ministerin Monika Grütters und betonte, auch sie wisse vorher nicht, welche Buchhandlungen nun besonders ausgezeichnet würden. In Heidelberg, der einzigen deutschen UNESCO-City of Literature, gebe es eine hohe Buchhandlungsdichte, auf 6500 Einwohner komme eine Buchhandlung. “Wer noch liest, rebelliert”, habe jüngst die “Süddeutsche” geschrieben, und für all diese aufständischen Leser sei es wichtig, dass sie in den unabhängigen Buchhandlungen ihre Verbündeten gegen die Welt der Amazons fänden. “Ihre kulturelle Vermittlung ist wichtiger denn je, weshalb unsere Förderung mit 850.000 Euro auch eine Anerkennung für den Mut ist, sich hier zu behaupten. Auch den Buchhandlungen, die mehr als eine Million Euro erwirtschaften, gilt diese große Anerkennung.”

“Ich will mehr über die Lebensbedingungen von Autoren erfahren”

Grütters ging auch auf die Kritik ein, dass rund 40 Buchhandlungen erneut nominiert worden sind: “Wir werden die Rahmenbedingungen noch einmal sorgfältig evaluieren und überprüfen. Die Kritik zeigt aber auch, wie begehrt der Preis ist.” Die Beauftragte der der Bundesregierung für Kultur und Medien, so der offizielle Titel von Grütters, wies darauf hin, dass in den unabhängigen Buchhandlungen häufig Bücher kleinerer Verlage wahrgenommen würden, was für die Literatur insgesamt extrem wichtig sei. “‘Demokratie ohne ein paar Widersprechkünstler ist undenkbar’ hat Jean Paul einmal gesagt, sie sind der Stachel im Fleisch unser Gesellschaft, gegen Bequemlichkeit und Trägheit”, so Grütters. “Literatur kann denen zu einer Stimme verhelfen, die sonst keine Stimme haben”.

Unter großem Applaus kündigte die Kulturstaatsministerin eine Neuerung an: “Ich werde in meinem Haus ab 2017 einen neuen Förderschwerpunkt Literatur setzen, auf das literarische Erbe, auf Gegenwartsliteratur, Sprache und Projekte.” Sie versicherte auch ihr persönliches Interesse: “Ich will mehr über die Lebensbedingungen von Autoren erfahren, und finde, dass man im digitalen Zeitalter noch von seiner Arbeit leben können muss – das gilt auch für Übersetzer, die ja eine bewundernswerte eigenständige kreative Leistung erbringen, die aber viel zu wenig gewürdigt wird.”

Grütters wünschte den 118 Buchhandlungen “den Ruhm und die Aufmerksamkeit, die es braucht, damit die Kunden dort einkaufen und die Läden sich damit weiter behaupten können.”

“Buchhandlungen müssten strukturell gefördert werden”

Michael Knoche, bis vor kurzem noch Direktor der Anna Amalia-Bibliothek in Weimar, berichtete, wie er am 4. August 1978 eine Annonce im Börsenblatt schaltete, in der er als geisteswissenschaftlicher Absolvent eine Anstellung in einer wissenschaftlichen Buchhandlung suchte. Draufhin meldete sich die Buchhandlung Gastl in Tübingen: Knoche erzählte, wie Fräulein Julie Gastl (“auf diese Anrede bestand sie”) im Bewerbungsgespräch von ihm einen Jahresumsatz von 200.000 Euro erwartete – “dabei hatte ich gar nicht gedacht, ein eine solch kapitalismusfreundliche Branche geraten zu sein. Vielleicht ein Glück, dass idoch den Weg in den wissenschaftlichen Bereich gefunden habe …”Knoche beschrieb Buchhandlungen als Oasen des Verweilens und der Kontemplation, die aber ebenso Orte der Kommunikation, Treffpunkte seien. “Wir müssen diese bedrohten Lebensbereiche stärken und uns nicht auf die Konsumentenrolle zurückziehen”, mahnte Knoche. “Buchhandlungen müssten strukturell gefördert werden, nicht nur von von Kulturstaatsministerin Grütters, sondern auch von anderen Ministerien – wir müssen um den Erhalt dieser Orte kämpfen!”

Die undotierten Gütesiegel gingen an:

Moritz und Lux, Bad Mergentheim
RavensBuch, Ravensburg
Buchhaus Wittwer, Stuttgart
Lehmkuhl, München / Michael Lemling
Schleichers Buchhandlung Dahlem-Dorf, Berlin
Heinrich Heine Buchhandlung, Hamburg
Kurt Heymann Buchzentrum, Hamburg
Buchhandlung Bindernagel, Friedberg
Buchhandlung Graff, Braunschweig
Lünebuch − Buchhandlung am Markt, Lüneburg